Interview: Strategien gegen Stress-Essen

19.03.2021
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Wir leben in stressigen Zeiten. Viele Menschen vernachlässigen gerade bei emotionalem Stress ihre Ernährung und greifen vor allem auf zuckerhaltige Nahrungsmittel, Fast Food oder zu viel Kaffee zurück. Welche Prozesse dabei im Körper ausgelöst werden, haben wir Apotheker und Geschäftsführer von Madena, Rudolf Keil, gefragt. Der Pharmazeut und Fachapotheker für Ernährungsberatung zeigt mögliche Wege auf, das emotionale Essen zu vermeiden.

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BEAUTY FORUM MEDICAL: Woran erkennt man Stress-Essen?

Rudolf Keil: Beim Stress-Essen greift der Gestresste unkontrolliert, was Zeitpunkt, Menge und Qualität der Nahrung angeht, zu Nahrungsmitteln.

Was passiert dabei im Körper?

Zentraler Auslöser für das Stress-Essen ist die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Die plötzliche Ausschüttung von Cortisol ist von der Natur als Notfallmechanismus für überlebenswichtige Situationen gedacht. In der heutigen Zeit wird er allzu häufig durch Stress-Situationen ausgelöst. Die Cortisolausschüttung bewirkt, dass zum einen die Hirnareale für bewusstes, achtsames Handeln ausgeschaltet und zum anderen das Stammhirn für überlebenswichtige Funktionen aktiviert wird. Das Gehirn schickt das Signal an verschiedene Stellen im Körper, um für das Überleben zu sorgen. Mit Essen kann man überschüssige Energie bunkern ohne, dass sie in der Realität tatsächlich gebraucht wird. Daher sind stressige Situationen häufig mit emotionalem Essen verbunden.

Woher kommt Stress-Essen?

Hauptursache für die unsinnige Cortisolausschüttung ist eine Dysbalance zwischen Anspannung und Entspannung oder kurz: die persönliche Lebenseinstellung und Lebensführung. Oft wird diese Situation durch eine unausgewogene Ernährung verstärkt. Eine ungenügende Versorgung mit essenziellen Nährstoffen ist die Folge. Hierdurch wird der Stress-Effekt verstärkt.

Welche Lebensmittel wirken sich dabei besonders negativ auf den Stoffwechsel aus?

Alkohol, exzessiver Kaffeekonsum – zwei bis drei Tassen pro Tag sind absolut ok – und Zuckerkonsum, mehr als 10 Gramm gesättigte Fette pro Tag.

Wie kann emotionales Essen in Stresszeiten reduziert oder ganz vermieden werden?

In Stress-Situationen kann Essen eine beruhigende Wirkung haben, allerdings löst es langfristig nicht das ursprüngliche Problem. Das emotionale Essen ist häufig die Folge eines tieferliegenden Problems. Wenn Hunger nicht das Problem ist, dann ist Essen auch nicht die Lösung.

Ein Lösungsansatz gegen emotionales Essen kann sein, dass man sich, sobald der Essimpuls hochkommt, eine Minute Zeit nimmt und die Situation reflektiert. Möchte man essen, weil man hungrig ist, oder lediglich seine Emotionen kompensieren?

Kann man den Auslöser benennen? Wie könnte man den Kern des Problems lösen? Häufig hilft Abstand in der Situation und ein kurzer Spaziergang. Auch die Änderung der aktuellen Tätigkeit oder der Umgebung kann hilfreich sein.

Sollte emotionales Essen immer dazu verführen, zu Süßigkeiten und Fast Food zu greifen, dann ist es hilfreich, immer gesunde, nährstoffreiche Snacks zur Hand zu haben. Denn häufig möchte unser Körper eine gesunde Form von Energie wie pflanzliche Proteine und ballaststoffreiches Gemüse und Obst.

Die besten kurzfristigen Erfolge sehe ich in der Praxis mit folgender Strategie: Die Ernährung auf eine vollwertige, pflanzenbasierte Kost umstellen. Eine Nahrungskarenz für 16 Stunden am Tag und die Zufuhr von Nahrungssupplementen. Die wichtigsten sind zur Darmfloraunterstützung mit Pro- und Präbiotika, ergänzt durch Mikronährstoffe, ein Mineralstoffpräparat, das basenbildende Mineralverbindungen reich an Magnesium, Kalium und Calcium enthält, sowie Omega-3-Fettsäuren DHA und EPA aus Algen.

Diese Strategie wirkt einer unkontrollierten Cortisolausschüttung und damit einer Herabregelung des Immunsystems entgegen. Sie sorgt zudem für ein starkes Immunsystem.

Miniglossar
  • DHA: Docosahexaensäure, mehrfach ungesättigte Fettsäure der Klasse der Omega-3-Fettsäuren
  • EPA: Eicosapentaensäure, mehrfach ungesättigte Fettsäure der Klasse der Omega-3-Fettsäuren
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