Neurokosmetik: Reine Gehirn-Sache?

13.05.2024
Gehirn, Neurokosmetik

Es heißt seit jeher, dass die Haut ein Spiegelbild unseres inneren Wohlbefindens ist, denn sie offenbart, was wir fühlen. Ob stressprovozierter Ausschlag, angstgeschuldete Gänsehaut oder freudebedingter Glow – die Verbindung von Haut und Gehirn ist offensichtlich und führt zu einer berechtigten Frage: Führt die beste Hautpflege über das Gehirn? Antwort darauf gibt die relativ unbekannte Disziplin der Neurokosmetik, die mit ihren Erkenntnissen eine neue Ära in der Schönheitspflege einläutet.

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Auffüllen, Aufpolstern, Unterspritzen oder einmal Liften – auf der Suche nach Mitteln, um den Zahn der Zeit aufzuhalten, war Frau bis dato erfindungsreich, dabei müsste sie sich eigentlich nur auf ihr Gefühl verlassen. Denn Psyche und Hautschönheit haben mehr gemeinsam, als man denkt. Wussten Sie zum Beispiel, dass unser größtes Sinnesorgandie Haut – und unser zentrales Nervensystem – das Gehirn – denselben embryonalen Ursprung haben? Haut und Gehirn bilden sich gleichzeitig am 21. Tag der Embryogenese aus dem Ektoderm, dem äußersten Teil des Embryos. Damit besteht kein Zweifel an der engen Beziehung zwischen Haut und Nervensystem und ihrer komplexen Kommunikation untereinander, mit sichtbaren Auswirkungen.
Doch wie lässt sich diese Beobachtung nutzen? Ist es möglich, durch Hautpflege ein emotionales Gleichgewicht herzustellen und umgekehrt durch den mentalen Zustand die Gesundheit und die allgemeine Qualität der Haut positiv zu beeinflussen?

Don't worry, be happy!

Ein gesund schimmernder Teint, entspannte Gesichtszüge, jugendliche Ausstrahlung – könnte man mit einer Prise Glück (im wahrsten Sinne des Wortes) ganz einfach den negativen Auswirkungen der Hautalterung wie Elastizitätsverlust und Faltenbildung entgegenwirken?
Fakt ist, dass die in der Neurokosmetik verwendeten Wirkstoffe, sogenannte Neuropeptide, neben der Produktion wichtiger Botenstoffe wie die Gute-Laune-Hormone Dopamin und Serotonin im Gehirn auch die Kommunikations- und Regenerationsfähigkeit der Hautzellen ankurbeln. So ist es Wissenschaftlern des Forschungszentrums „skinitial“ an der Universität Freiburg im Jahr 2015 erstmals gelungen nachzuweisen, dass auch die Haut Bitterstoffrezeptoren besitzt, an die sich pflanzliche Neuropeptide bzw. Bitterstoffe binden können. Diese bewirken einen Kalziumeinstrom in die Hautzellen, der wiederum die Bildung von Lipiden und Proteinen anregt, die entscheidend am Aufbau und an der Schutzfunktion der Haut beteiligt sind.
Eine weitere Arbeitsgruppe um Forscher der Ruhr-Universität Bochum konnte Riechrezeptoren in den Zellen der Haut entdecken. Diese haben dort jedoch nicht die Aufgabe, Geruch im klassischen Sinn zu vermitteln. Vielmehr führt die Bindung von bestimmten Duftstoffen an diese Rezeptoren dazu, dass Wachstums- und Regenerationsvorgänge in der Haut gefördert werden.

Neurokosmetik

Mood Beauty – Pflege, die Stimmung macht

Der Bereich der Neurokosmetik ist heute zweifellos einer der spannendsten Ansätze in der Hautpflege, mit dem größten Potenzial:
Er zielt darauf ab, sämtliche Interaktionen und Verbindungen „innen und außen“, mit denen wir im Alltag konfrontiert werden
und die sich sowohl auf den psychischen als auch physischen Zustand auswirken, zu verstehen, zu erklären und kosmetisch
nutzbar zu machen.
So werden auf Grundlage neurowissenschaftlicher Studien beispielsweise Produkte entwickelt, die in der Lage sind, mit dem
Haut-Gehirn-System zu kommunizieren, indem sie aufgrund ihrer Textur, ihrer Haptik und ihres Duftes spezifische Empfindungen
wie Freude und Wohlbefinden hervorrufen.
Eine sensorische Stimulation, die aber nicht nur die Laune hebt, sondern auch für die Hautpflege eine neue, effektivere Dimension
gegen die Zeichen des Älterwerdens verspricht.

Wunderwafe Peptid

Wie bereits erwähnt, machen die in der Neurokosmetik verwendeten Peptide den Unterschied zu herkömmlicher Hautpflege. Ihre Aufgabe ist es, bestimmte Vorgänge in Haut und Gehirn zu hemmen bzw. zu stimulieren. Es gibt sicher über 100 Inhaltsstoffe, die in der Neurokosmetik eine Rolle spielen, die wichtigsten Wirkstoffe aber sind entweder bitter oder betörend süß:

  • Gelber Enzian: ist eine Heilpflanze, deren Wirkung fast ausschließlich auf Bitterstoffen beruht. Diese regen die Zellteilung an und verstärken die Produktion der kollagenen Bindegewebsfasern.
  • Süßholz: Das im Körper zu Glycyrrhetinsäure umgewandelte süße Glycyrrhizin verlangsamt die Hautalterung durch UV-Bestrahlung, indem es die hauteigenen Abwehrmechanismen aktiviert und den Abbau von Bindegewebe bremst.
  • Schisandra (Beerentraube): ist eine alte chinesische Heilpflanze, deren Phytohormone die Hautalterungsprozesse verlangsamen und darüber hinaus helfen, die Haut fest und straff zu halten, indem sie die das Bindegewebs zerstörenden Enzyme hemmen.
  • Retinol: ist eine Form des Vitamins A, das die Kollagenproduktion der Haut ankurbelt und Hautunreinheiten vorbeugt.
  • Vitamin C: ist ein Antioxidans, das unterstützend bei der Abwehr von freien Radikalen wirkt und die Kollagenproduktion der Haut erhöht.

Neurokosmetik - ein Teil vom Ganzen

Neben der Neurokosmetik beschäftigen sich auch die wissenschaftlichen Disziplinen wie die Aromatherapie, Phytotherapie und Chronokosmetik mit dem Einfluss von Kosmetika auf das emotionale und körperliche Wohlbefinden.
Unter Aromatherapie versteht man eine Anwendung, bei der die kostbaren Essenzen von ätherischen Ölen aus Pflanzen das körperliche und emotionale Wohlbefinden verbessern sollen, indem sie über die Atmung bzw. den Geruchssinn aufgenommen werden.
So wandeln die Riechzellen in der Nase das Duftmuster anschließend in elektrische Impulse um, die im Gehirn den Ausstoß von Glückshormonen wie Serotonin anregen.
Einen ähnlichen Wirkungsmechanismus setzt die Phytotherapie in Gang, wobei die Wirkstoffe der ätherischen Öle nicht über die Nase, sondern wie bei der Neurokosmetik über die Haut aufgenommen werden.
Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang obliegt der Chronokosmetik. Sie widmet sich den zirkadianen Rhythmen des Körpers und deren Auswirkungen auf die Haut. Als zirkadiane Rhythmen bezeichnet man die regelmäßigen Zyklen biologischer Aktivität, die in 24-Stunden-Intervallen auftreten und sich bekanntermaßen auf viele Aspekte der Gesundheit auswirken.
Vom Schlaf bis hin zur Stimmung – die Beauty-Produkte im Bereich der Chronokosmetik sollen im Einklang mit den natürlichen Rhythmen des Körpers arbeiten, das heißt, dass sie, zu bestimmten Tageszeiten und abwechselnd an bestimmten Wochentagen angewandt, unter anderem Haut- und Haaralterung vorbeugen, den Abbau von Fettansammlungen in bestimmten Bereichen erleichtern und die Talgproduktion regulieren sollen.

Fazit

Obwohl die Forschung auf dem Gebiet der Neurokosmetik noch am Anfang ihrer Möglichkeiten ist, lässt sich jetzt schon sagen, dass der ganzheitliche Beauty-Ansatz von Neurokosmetik, der die große Bedeutung innerer Faktoren für ein strahlendes, gesundes Äußeres anerkennt, nicht nur ein vorübergehender Trend ist, sondern für einen Paradigmenwechsel in der Schönheitsindustrie steht, wo die komplexe Beziehung zwischen Haut und Gehirn immer stärker ins Bewusstsein rückt.

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Exklusiv für Online-Abonnenten: Den Artikel zum Trend Lip Blushing von Autorin Judith Lorenzon finden Sie hier.

Judith Lorenzon

Judith Lorenzon
Die Autorin arbeitete, bevor sie sich der Beauty-Branche widmete, für den Tagesspiegel. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Turin und berichtet für Fachmagazine über die neuesten Trends der Beauty-Industrie.

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