Frische Kräuter

17.08.2018
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Wer ohne Kräuter kocht, kann sich gleich auf Wasser und Brot beschränken.“ Dieser Satz des Schriftstellers Wolfgang Uecker bringt die Bedeutung der Kräuter für unser Essen auf den Punkt. Viele Kräuter sind nicht nur kleine Nährstoffbomben, sondern haben obendrein eine ganze Reihe positiver Wirkungen auf unsere Gesundheit. An aller erster Stelle steht jedoch ihr Geschmack: Kräuter bringen Aroma und Würze ans Essen, verstärken und verbessern den Geschmack der Speisen. Wer gerne kocht, kann nicht auf sie verzichten.

Warum das so ist, erklären die folgenden positiven Eigenschaften der kleinen grünen Aromariesen: Geschmacksverstärker – Das Aroma der Kräuter überträgt sich auf subtile Weise auf die Lebensmittel und steigert ihren

Eigengeschmack. So wird eine Lammkeule erst durch Rosmarin zum deftigen Hochgenuss. Das gleiche Kraut kann aber auch eine Eiscreme feinwürzig veredeln. Kräuter können eher langweilige, geschmacksarme Lebensmittel wie beispielsweise Zucchini, Salate, aber auch Fleischgerichte in köstliche Speisen verwandeln. Kräuter mit würzigem Aroma (Estragon, Schnittlauch, Liebstöckel) können helfen, Salz zu sparen.

Naturheilmittel – Viele grüne Kräuter sind wahre Naturarzneimittel. Sie fördern durch ihre Inhaltsstoffe nicht nur die Verdauung fett- und proteinreicher Speisen, sondern können – gezielt eingesetzt – auch bei der Vorbeugung und Linderung vieler Beschwerden helf

Die besondere Note

Ob zu Fleisch, Fisch oder Geflügel, zu Saucen, Suppen und Salaten, aber auch zu Kartoffeln, Reis oder Nudeln – Kräuter passen zu fast jeder Speise. Sogar Desserts wie Eis oder Getränke wie Milch shakes oder Cocktails erhalten durch sie eine besondere Note – man denke nur an den Mojito, den Cocktailklassiker auf der Basis frischer Minze. Das reichhaltige Angebot an Kräutern animiert dazu, Unbekanntes auszuprobieren oder alte Bekannte neu zu entdecken. Wann haben Sie das letzte Mal ein Gericht mit Borretsch, Pimpinelle oder Kerbel aromatisiert? Oder wussten Sie, dass man Minze zu viel mehr verwenden kann als nur für die Zubereitung von Tee? In der Küche des Nahen Ostens etwa spielt die Minze bei vielen Meze- (klassische Vorspeisen) und Getreidegerichten mit Bulgur oder Hirse eine ganz wichtige Rolle.

Dass wir heute die Vielfalt frischer Kräuter in der modernen Küche nutzen können, hat auch etwas mit der Jahrtausende alten Kräuterkultur der Menschheit zu tun. Chinesen, Ägypter und andere Völker des Altertums unterhielten bereits vor 5000 Jahren Schulen für Kräuterkundige. Seit jeher waren die Menschen von der Kombination aus Geschmack und Heilkraft fasziniert. Apicius, römischer Vorfahre moderner Kochbuchautoren, überliefert in seinem zehnbändigen Werk zahlreiche Rezepte, die mit Würzkräutern verfeinert wurden. Die wunderbaren Klostergärten der Mönche des Mittelalters sind der Ursprung unseres heutigen Kräuterwissens. In ihren heiligen „Paradiesgärten“ kultivierten sie die unterschiedlichsten Kräuter, studierten ihre Heilwirkungen und testeten die kulinarischen Eigenschaften.

Vitaminbomben

Vieles von dem, was die Mönche wussten, ist über die Jahrhunderte wieder in Vergessenheit geraten, was Sebastian Kneipp Ende des 19. Jahrhunderts zu der Feststellung führte: „Gegen das, was man im Überfluss hat, wird man gleich gültig; daher kommt es, dass viele hundert Pflanzen und Kräuter für wertlose Unkräuter gehalten werden, anstatt dass man sie beachtet, bewundert und gebraucht.“ Viele dieser Pflanzen werden heute unter dem Begriff „Wildkräuter“ neu entdeckt. Brennnessel, Löwenzahn, Bärlauch und Sauerampfer haben inzwischen den Sprung vom „Unkraut“ in die Küche geschafft und begeistern durch ihre würzigen Aromen. Wildkräuter schmecken nicht nur häufig besser als gewöhnliche Einheitsware aus dem Supermarkt – sie sind auch besonders reich an Vitaminen, Spurenelementen und sogenannten sekundären Pflanzenstoffen. Und sie eröffnen ein kleines Universum neuer Rezepte – angefangen von der Brennnesselsuppe bis hin zum Löwenzahnsalat. Gesunde Frische Gegen fast alles ist „ein Kraut gewachsen“. Frische Kräuter sorgen nicht nur für den Wohlgeschmack der Speisen, sie besitzen auch einen bemerkenswerten Anteil an hochwirksamen Inhaltsstoffen. Neben Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen enthalten sie unter anderem ätherische Öle, Harze, Alkaloide, Bitter-, Gerb- und Schleimstoffe, organische Säuren, Enzyme und pflanzliche Hormone. Viele dieser Substanzen wirken positiv auf unsere Gesundheit.

Im Mittelalter wurde vielen Kräutern magische Wirkung zugeschrieben – der Weihrauch, der bis heute in katholischen Messen Verwendung findet, ist ein Überbleibsel aus jener Zeit. Vieles, was damals für Magie gehalten wurde, kann die Wissenschaft heute auf ganz bestimmte Inhaltsstoffe zurückführen. Kräutersträußchen mit Weinraute und Rosmarin, die von hohen Würdenträgern beim Besuch ihrer Untertanen getragen wurden, sollten Parasiten fernhalten. Knoblauch galt über Jahrhunderte als Schutz vor gefährlichen Erkrankungen. Zumindest was die Krankheiten betrifft, kennt man heute verschiedene Substanzen in der aromatischen Knolle, die entzündungshemmend und antibakteriell wirken. Frische grüne Kräuter sind tatsächlich eine wahre Küchenapotheke:

  • Sie regen Appetit und Verdauung an und verbessern die Bekömmlichkeit (z.B. Basilikum, Thymian, Lorbeer).
  • Sie aktivieren Galle, Bauchspeicheldrüse und Darmperistaltik (z.B. Minze, Wermut, Koriander, Petersilie).
  • Sie mildern Verkrampfungen und Blähungen (z.B. Fenchel, Dill, Bohnenkraut).
  • Sie wirken günstig bei hohem Blutdruck und Arteriosklerose und unter stützen den Kreislauf (z.B. Knoblauch, Bärlauch, Brennnessel oder Borretsch).
  • Sie wirken beruhigend, ausgleichend, entspannend und helfen, Stress zu reduzieren (z.B. Majoran, Estragon, Lavendel).
  • Andere Kräuter wiederum wirken an regend und belebend bei Müdigkeit und Erschöpfungszuständen (z.B. Liebstöckel, Thymian oder Rosmarin).

Powerwirkstoffe

Unter den vielen Inhaltsstoffen sind es vor allem zwei Substanzgruppen, die für besonders viele positive Wirkungen sorgen: Stoffe mit hohem antioxidativem Poten zial, die die Zellen vor dem Angriff freier Radikale schützen, indem sie die Oxidation von Fetten oder Proteinen verzögern oder verhindern. Dazu gehören etwa Flavonoide und Saponine. Soll die antioxidative Wirkung voll genutzt werden, müssen die Kräuter frisch sein: Trocknen oder zu langes Kochen mindert die Wirkung.

Antibiotisch wirkende Substanzen, die bei der Bekämpfung bakteriell verursachter Entzündungen helfen können. So enthält beispielsweise die schleimlösende Kresse natürliche Antibiotika, die die Behandlung von Bronchitis, Harnwegsinfektionen oder bestimmten Pilzerkrankungen unterstützen. Seit Langem bekannt ist auch der Gehalt von antibiotisch wirksamen Substanzen in Liliengewächsen wie Schnittlauch, Bärlauch oder Knoblauch. Oregano, Salbei und Thymian enthalten ebenfalls antibiotische Substanzen, die das Wachstum von Bakterien und Pilzen hemmen. Entzündungshemmend wirken darüber hinaus ätherische Öle als Inhaltsstoffe vieler Duftkräuter wie etwa Lavendel oder Rosmarin.

Die meisten Kräuter nehmen wir nur in relativ geringen Mengen zu uns. Aufgrund der teils enormen Konzentration an Nährstoffen können sie trotzdem viel zur Versorgung bestimmter Nährstoffen bei:

  • Brennnesselblätter enthalten doppelt so viel Eisen und fünfmal so viel Kalzium wie Spinat.
  • Petersilieist eine echte Vitamin-C-Bombe! 20 Gramm gehackte Petersilie (ungefähr eine Handvoll) decken bereits zwei Drittel des Tagesbedarfs. Auch ihr Gehalt an Kalium und B-Vitaminen ist besonders hoch.
  • Besonders reich an Magnesium sind Thymian, Salbei, Kerbel und Bohnenkraut.
  • Portulak enthält mehr Omega-3-Fettsäuren als jedes andere grüne Blatt gemüse.

Kleine Kräuterkunde

Petersilie

Ob kraus oder glatt – der Klassiker unter den Kräutern galt schon im alten Rom als Energetikum und Aphrodisiakum. Tatsächlich ersetzt sie eine kleine Apotheke. So ist sie u.a. durchblutungsfördernd, harntreibend und blutreinigend.

Verwendung: Petersilie wird gehackt, damit ihre ätherischen Öle den typischen Duft und Geschmack voll entwickeln können. Tipp: Geben Sie die grob gehackte Petersilie am Schluss zu Fleisch-, Gemüse- oder Nudelgerichten und lassen Sie sie eine Minute mitziehen. Dann verschmilzt sie schön dunkelgrün mit den Speisen.

Schnittlauch

Das unkomplizierte Allroundkraut darf in keiner Küche fehlen. Es gedeiht wunderbar in Töpfen, ist reich an Senfölen, Saponinen, Mineralien und Vitamin C. Die Inhaltsstoffe wirken schützend und pflegend auf die Schleimhäute der Atemwege.

Verwendung: Den oberen Teil der harten Halme mit einer Schere abschneiden, den Rest in Röllchen schneiden. Schnittlauch niemals kochen – immer erst kurz vor dem Servieren an Suppen oder andere warme Gerichte geben!

Tipp: Schnittlauchbutter auf die Schnelle: Schnittlauchröllchen, etwas Zitronenschale und Salz unter weiche Butter rühren. Portionsweise in kleine Glas- oder Porzellangefäße füllen, glattstreichen und einfrieren.

Estragon

Estragon schmeckt so intensiv, dass es kaum andere Kräuter neben sich duldet: Am besten verwendet man ihn als Solisten. Weil er so herzhaft würzig ist, hilft er, Salz zu sparen. Er gilt seit jeher als wirksames Verdauungstonikum. Durch seinen hohen Phytosterolgehalt kann er regulierend bei Menstruationsbeschwerden wirken. Schwangere sollten vorsichtshalber auf ihn verzichten.

Verwendung: Estragon passt sehr gut zu Fischgerichten, Eiern, hellem Fleisch und hellen Gemüsesorten (Spargel, Blumenkohl). Wunderbar in Senfsoße! Tipp: Zwei bis drei Stängel in eine Flasche guten Weißweinessig stecken. Einen Teelöffel zerdrückten weißen Pfeffer und getrocknete Chilischote dazu – fertig ist der Estragonessig (als Vinaigrette verwenden).

Brennnessel

Wer einmal in Italien „Pasta verde“ gekostet hat, weiß das wertvolle und schmackhafte Wildkraut zu schätzen: Brennnesseln sind so voller Enzyme, Vitamine, Mineralien, Bitterund Gerbstoffe wie wenige andere Heilpflanzen.

Verwendung: Die kleinen, jungen Blätter mit dem frischen, aromatischen Geschmack sind mit Gummihandschuhen zu ernten. Sorgfältiges Waschen und/oder kurzes Bearbeiten mit einem Nudelholz zerstört die Zellen mit dem brennenden Nesselgift. Achtung: Brennnesseln, die in der Nähe gedüngter Flächen wachsen, können sehr hohe Nitratgehalte haben.

Tipp: Für Brennnesselspinat werden die Blätter überbrüht und grob gehackt. In Butter geschmälzte Zwiebel und etwas frischen Knoblauch dazu, mit Meersalz und etwas Sahne abschmecken.

Borretsch

Hat er im Garten erst einmal Fuß gefasst, vermehrt er sich wie Unkraut (viele sternförmige himmelblaue Blüten). In der Naturmedizin gilt er als Antidepressivum, was dem besonders hohen Gehalt an Kieselsäure zugeschrieben wird.

Verwendung: Je kleiner die Blättchen, desto besser schmecken sie. Für die Verwendung in Salaten – z.B. für frischen Gurkensalat – Blätter in ganz feine Streifen schneiden.

Tipp: Die schönen blauen Blüten sind essbar, man kann sie wunderbar als Salatdekoration verwenden. Blüten erst nach Zugabe des Dressings über den Salat streuen.

Portulak

Das Kraut besitzt einen frischen, angenehm säuerlichen, leicht salzigen Geschmack. Die zarten Blättchen gelten als natürliches Wundermittel gegen einen zu hohen Cholesterinspiegel sowie als natürliche Herzschutzmedizin. In der chinesischen Medizin gilt Portulak als effektiver Schlankmacher.

Verwendung: Der empfindliche Portulak sollte gleich nach dem Einkauf verarbeitet werden. Junge Pflanzen im Ganzen verwenden, bei kräftigeren Pflanzen Blätter von den Stielen zupfen. Schmeckt wunderbar in allen Blattsalaten.

Tipp: Wer reichlich Portulak im Garten hat, kann ihn wie Spinat als Gemüse zubereiten: kurz in Butter andünsten und aufkochen lassen. Nicht salzen – der natürliche Würzgeschmack reicht aus.

Dr. Friedhelm Mühleib

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