Medizinische Leitlinien sind systematisch entwickelte, wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Entscheidungshilfen. Sie sollen Ärzten Empfehlungen geben, wie eine Erkrankung festgestellt und behandelt werden sollte. Auch Kosmetikerinnen können eine Menge von ihnen für ihre Arbeit ableiten. In Teil 4 unserer Leitlinien-Serie stellt Ihnen die angehende Ärztin, Kosmetikerin und Beauty Managerin Sarah White die wichtigsten Fakten aus der Leitlinie Onychomykosen vor.
1. Definition (Beschreibung, Aussehen)
In der Bevölkerung als Nagelpilz geläufig, handelt es sich bei der Onychomykose um eine hartnäckige chronische Pilzinfektion, die Finger- und/oder Zehennägel befallen kann. Sie tritt in der Bevölkerung sehr häufig auf: Rund 15 bis 20 Prozent aller Menschen sind betroffen, wobei der Pilz am häufigsten auf Zehennägeln zu finden ist. Sichtbar wird er als deutlich weißlich-graue und gelbliche Verfärbung und sorgt für einen bröckeligen, progredienten Zerfall der Nagelplatte. Unbehandelt kann der FOTO: PRABODHA D HERATH/SHJUTTERSTOCK.COM Pilz zur kompletten Zerstörung des Nagels führen.
2. Epidemiologie (Prävalenz, Geschlecht, Alter)
Von der Onychomykose können sowohl Männer als auch Frauen betroffen sein, wobei es Männer etwas häufiger trifft als Frauen. Die Erkrankung kann in allen Lebensphasen auftreten, wobei Kinder und Jugendliche verhältnismäßig selten befallen sind. Auffällig ist die deutliche Zunahme bei älteren Personen: Bei über 70-Jährigen sind etwa 50 Prozent betroffen.
3. Ätiologie (Disposition, Trigger)
Für Onychomykosen liegen Risikofaktoren vor. Darunter insbesondere Durchblutungsstörungen der unteren Extremitäten (venöse Insuffizienzen oder arterielle Verschlusskrankheiten), metabolische Erkrankungen wie Diabetes, eine herabgesetzte Immunabwehr wie bei HIV-Infektionen, Fuß- und Zehenfehlstellungen, enges Schuhwerk oder eine Hyperhidrose mit übermäßiger Schweißproduktion. Auch eine familiäre Häufung ist erkennbar, angenommen wird daher zusätzlich eine genetische Prädisposition. In Europa kommt es bei der Onychomykose überwiegend zu Infektionen durch Dermatophyten. In diesem Fall spricht man auch von einer Tinea unguium. Sind nur Fußnägel befallen, von Tinea pedum, bei Fingernägeln von Tinea manuum (hier können auch Haut und Fingerzwischenräume betroffen sein). Neben Dermatophyten sind auch Infektionen durch Hefe- und Schimmelpilze möglich. Die Sporen der Pilze sind besonders in feucht-warmen Umgebungen zu finden. Typische Quellen für eine Infektion sind daher häufig Schwimmbäder, öffentliche Duschen, Umkleidekabinen oder andere öffentliche Einrichtungen.
4. Symptome und Verlaufsformen
Auffällig wird die Onychomykose durch deutliche Veränderungen der Nagelplatte: Betroffene Nägel erscheinen matt, weißlich-grau und/oder gelblich verfärbt. Es kommt auch zur Formveränderung mit Deformation, wobei der Nagel verdicken oder ausdünnen kann und es häufig zum Absplittern kommt. Typisch ist auch der krümelige Zerfall betroffener Nägel. Eine Onychomykose muss immer behandelt werden. Eine Spontanheilung ist nicht möglich, es gibt nach aktuellen Kenntnissen keine Selbstheilungschancen. Ohne Behandlung kann die Infektion Jahre bis Jahrzehnte bestehen, in eine schwere Verlaufsform übergehen, zusätzlich die Haut befallen und das Risiko für ein Erysipel (Wundrose) deutlich erhöhen.
5. Differenzialdiagnose
Bei einer ärztlichen Behandlung sollte die Onychomykose von der Nagel-Psoriasis, Ekzemnägeln und Lichen ruber abgegrenzt werden. In diesen Fällen sind neben Fuß- oft die Fingernägel mitbetroffen. Auch andere Erkrankungen oder erworbene Nagelveränderungen können zu Deformitäten der Nagelplatte führen, darunter die Zwanzig-Nägel-Dystrophie, Brachyonychie, Onychodystrophien bei Alopecia areata, das Yellow-Nail- oder das Nagel-Patella-Syndrom.
6. Ärztliche Therapie
Für eine zielgerichtete Behandlung ist die Erregerbestimmung entscheidend. Daher sollte vor der Behandlung eine mikrobielle Diagnostik durchgeführt werden, zum Beispiel durch Anlegen einer Pilzkultur oder einer histologischen (mikroskopischen) Untersuchung. Je nach Ausbreitungsgrad der Onychomykose und Art des Erregers erfolgt durch einen Arzt dann entweder eine rein topische (äußerliche) oder zusätzlich orale Therapie.
Eine topische Therapie umfasst häufig einen antimykotischen Nagellack, zum Beispiel mit dem Wirkstoff Amorolfin oder Ciclopiroxolamin. Empfohlen ist diese Art der Behandlung, wenn maximal 40 Prozent der Nagelfläche beziehungsweise 30 Prozent der Nagelanzahl betroffen sind.
Zur Verbesserung der Therapie wird ein Anrauen der Nageloberfläche empfohlen. Es kann außerdem eine atraumatische Nagelabtragung in Erwägung gezogen werden. Ist die Nagelanzahl oder -fläche größer oder die Onychomykose mittelschwer bis schwer, wird häufig zusätzlich oral behandelt. Hier findet beispielsweise das Antimykotikum Terbinafin Einsatz.
Bei einer systemischen Therapie ist die strenge Überwachung der Leberwerte notwendig, es sind außerdem Arzneimittelwechselwirkungen zu beachten.
Die Rezidivrate bei Onychomykose ist mit etwa 25 Prozent recht hoch, daher sind eine Rezidivprophylaxe mit Aufklärung und Hygienemaßnahmen sowie die Aufdeckung von möglichen Infektionsketten entscheidend. Auch eine Autoinokulation („Keimverschleppung“) mit Tinea capitis sollte ausgeschlossen werden.
7. Empfehlungen für die Kosmetikerin
Nicht nur, aber besonders aufgrund der Häufigkeit von Onychomykosen sollte im kosmetischen Alltag unbedingt ein umfassendes und strenges Hygienekonzept ausgearbeitet und konsequent umgesetzt werden.
Bei jeglichen Behandlungen ist außerdem zu beachten, dass Mikrotraumen, zum Beispiel durch kleine Verletzung im Rahmen der Fußpflege, das Risiko für eine mögliche Infektion erhöhen können. Auch eine durch Fuß- und Handbäder aufgeweichte Haut stellt ein potenzielles Risiko für Infektionen dar.
Für die Kosmetikerin selbst stellt die Onychomykose ein Berufsrisiko dar: Bei Kunden mit Verdacht auf eine mögliche Infektion gelten für dieKosmetikerin besonders umfassende Hygienemaßnahmen, insbesondere um eine Ausbreitung der Sporen für andere und sich selbst zu verhindern. Eine Hand- und/oder Fußpflege sollte im Fall einer vermuteten oder bestätigten Onychomykose nicht durchgeführt werden. Stattdessen sollte der Verweis auf die Behandlung beim Dermatologen erfolgen, gegebenenfalls mit Unterstützung einer ergänzenden podologischen Behandlung. Insbesondere aufgrund der schwerwiegenden Folgen bei fehlender Behandlung kann die Kosmetikerin hier wertvolle Überzeugungsarbeit leisten.
Quellen: https://register.awmf.org/assets/guidelines/013-003k_S1_Onychomykose_2022-09_1.pdf www.gd-online.de/german/veranstalt/ images2013/GD_Stellungnahme_ Onychomykose_Fassung_21.03%20 2013.pdf
https://deximed.de/zielseiten/krankheiten/nagelpilz Netters Dermatologie, Frank H. Netter, 2. Auflage
Bereits erschienen:
Diese Leitlinien sind bisher erschienen und exklusiv für Online-Abonnenten nachlesbar:
Sarah White
Die Autorin ist angehende Ärztin, Kosmetikerin, Beauty Managerin (IHK), Autorin für Fachzeitschriften und Speakerin auf internationalen Kongressen sowie Gründerin der Marke „Iluqua“.
www.iluqua.com