Sanfte Pflege für sensible Zeiten

27.09.2024
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Die Hautpflege ist innerhalb der palliativen Versorgung und Sterbebegleitung unheilbar kranker Menschen eine wichtige Komponente, um die verbleibende Zeit so weit wie möglich erträglich zu gestalten. Allerdings gilt es dabei einiges zu beachten.

Sofern es den Kranken anfänglich noch möglich ist, sich zu bewegen und einen Großteil ihres täglichen Lebens selbst zu organisieren, ändert sich hinsichtlich der Hautpflege wenig. Das ist allerdings die eher seltene Ausnahme. Spätestens im weiteren Krankheitsverlauf übernehmen Pflegedienste sowie ambulant und podologisch tätige Kosmetikerinnen die Hautpflege, sei es im häuslichen Umfeld, Altenheim, Krankenhaus oder Hospiz. 
Im Idealfall wird auf die persönlichen Wünsche, die verwendete Kosmetik betreffend, eingegangen, meist findet aber situationsbedingt eine Anpassung von Präparaten und Behandlungen statt, insbesondere auch dann, wenn die Kranken nicht mehr in der Lage sind, eigene Entscheidungen zu treffen. Problemorientierung seitens der Pflegekräfte und Compliance seitens der Kranken gewinnen an Bedeutung.


Herausforderungen 


Bettlägerigkeit stellt das Pflegepersonal vor eine große Herausforderung. Hier geht es einerseits um Sauberkeit, andererseits um die Erhaltung einer guten Barrierefunktion der Haut und einer minimalen Schädigung des Hautmikrobioms. Das ist in Krankenhäusern, wo auf absolute Hygiene geachtet werden muss und das Desinfizieren höchste Priorität hat, eine Gratwanderung. Darüber hinaus müssen Schäden wie Dekubitus durch langes Liegen und Windeldermatitis aufgrund von Insuffizienzen der Ausscheidungsorgane verhindert werden. Was also ist zu tun?


Hautreinigungsmaßnahmen
 

Eine Orientierungshilfe kann die Kleinkinderpflege sein, das heißt,  es werden wenig aggressive Reinigungsmittel mit trotzdem gutem Schmutztragevermögen verwendet. 
Hier bieten sich Zusammensetzungen an, deren emulgatorisch wirksame Bestandteile soweit wie möglich physiologisch abbaubar sind und eine nur minimale Auswaschung barriereaktiver Hautbestandteile verursachen. Diese Mittel greifen naturgemäß auch das Hautmikrobiom weniger an.
Pflanzenöle mit essenziellen Fettsäuren können vielfach alternativ für die Reinigung im Intimbereich verwendet werden, wenn Windeln zum Einsatz kommen. Sie pflegen gleichzeitig und liefern durch Bildung sauerstoffhaltiger Metabolite einen antientzündlichen Beitrag.
Auch im Rahmen der Prävention von Dekubitus lassen sich pflanz-liche Öle oder deren wässrige Nanodispersionen auf Phosphat-idylcholin- und Phosphatidylserin-Basis für die Reinigung einsetzen. 
Sofern eine antiseptische Wirkung zusammen mit der Hautreinigung erforderlich ist, bei Infektionen etwa, lässt sich unter anderem Polyaminopropyl Biguanide (INCI) in einem zweiten Schritt verwenden. Es wirkt ähnlich wie die endogenen antimikrobiellen Peptide (AMP).


Hautpflegemaßnahmen
 

Wenn keine speziellen Probleme vorliegen, wird man entweder die bisherigen Präparate beibehalten oder gegebenenfalls präventiv auf Zusammensetzungen wechseln, die potenziell inkompatible Stoffe vermeiden und noch besser auf die individuellen physiologischen Verhältnisse optimiert sind. Denn die Haut wird zum Beispiel durch die permanente Medikation von Corticoiden durchlässiger und reagiert nach einiger Zeit sen-sibler auf potenzielle Allergene wie Konservierungsstoffe und Duftstoffkomponenten. Diesbezüglich sind auch eventuelle Nebenwirkungen der im palliativen Bereich häufig verordneten Schmerzmittel, Antidepressiva und Antipsychotika zu berücksichtigen. Der Blick auf die Beipackzettel ist wichtig.
Als physiologisch bezeichnet man Kosmetika, deren Inhaltsstoffe bei Penetration in und Permeation durch die Haut nicht kumulieren, sondern enzymatisch ohne lokale Nebenwirkungen abgebaut werden. Ihre Konzentrationen dürfen allerdings nicht so hoch sein, dass physikalische Reaktionen wie die Austrocknung und Denaturierung von Proteinstrukturen zum Beispiel bei hohen Alkoholkonzentrationen stattfinden. 
Ein anderes Beispiel ist der oft verwendete Harnstoff, der bei steigenden Konzentrationen (harmlose) temporäre Reizungen bis hin zu Keratolysen verursacht. Mittlerweile haben sich – wenn es um Cremes geht – lamellar aufgebaute, von synthetischen O/W- und W/O-Emulgatoren freie Produkte bewährt. Sie enthalten hydriertes Phosphatidylcholin (PC-H), Phytosterine und Ceramide und stabilisieren die Barrierestruktur. PC-H liefert bei enzymatischem Abbau auch die notwendigen barriereaktiven langkettigen Fettsäuren. 
Die wasserfreien Varianten dieser Zusammensetzungen sind Oleogele, die einen hohen Anteil an Triglyceriden beinhalten und insbesondere der tendenziell trockenen Haut bei älteren Menschen entgegenwirken. Trotz starker Fettung sind sie im Vergleich zu paraffinbasischen Lipogelen höchstens nur kurze Zeit okklusiv. Denn die Triglyceride werden durch die Lipasen des Hautmikrobioms und der Epidermis langsam aufgespalten und weiter zu kurzkettigeren Säuren abgebaut, die zum niedrigen pH-Wert der Hautoberfläche beitragen. 
Moderate Dosierungen von Oleogelen eignen sich auch zur Prävention von Wundliegen (Dekubitus), wenn die Quellung der Haut zu vermeiden ist.
 

Problemfelder
 

Bei der Applikation von Präparaten spielt die leichte Verteilbarkeit eine Rolle. Das Pflegepersonal wird daher dort, wo es möglich ist, Lotionen bevorzugen. Dazu eignen sich neben wässrig-alkoholischen Lösungen vor allem liposomale Dispersionen, die hydrophile Wirkstoffe aufnehmen können, und Nanodispersionen, die selbst bei Beladung mit Pflanzen-ölen, Sterinen und anderen lipophilen Wirkstoffen noch eine wässrige Konsistenz besitzen. 
Unter dem Aspekt der möglichst hilfsstoffarmen sprich zum Beispiel konservierungsstofffreien Präparate sind auch Schäume zu nennen. Sie sind steril, leicht verteilbar, werden in Druckgas-Dosen geliefert und können zum Beispiel in der Fußpflege gut eingesetzt werden.
Ansonsten sind aus hygienischer Sicht Airless-Spender mit doppeltem Boden zu verwenden, die eine rückwärtige Kontamination des Spenderinhalts sicher unterbinden. Ungeeignet sind Tiegelprodukte, insbesondere im Heim- und Krankenhausbereich.
 

Fuß- und Nagelpflege
 

Durch die vielfältigen Infektionsmöglichkeiten in den sanitären Räumen und durch das feuchtwarme Milieu zwischen den Fußzehen treten immer wieder Mykosen auf, die dermatologisch mit den üblichen Antimykotika behandelt werden. Besonders bei älteren Menschen besteht die Gefahr, dass sich die Pilzinfektion bis unter die Fußnägel ausdehnt, wo man kaum noch und nur langwierig an sie he-rankommt. 
Zur Prävention empfiehlt es sich daher, etwa einmal pro Woche ein zum Beispiel terbinafinhaltiges Präparat nach der Hautreinigung intensiv unter die Nagelspitzen zu applizieren. Entsprechend ausgebildete Pflegekräfte werden darüber hinaus für das Schneiden der Nägel sorgen und auf Rhagadenbildung an Händen und Füßen achten. 
Rhagaden können neben lokaler Überbeanspruchung eine Nebenwirkung von Medikamenten wie zum Beispiel Hormonpräparaten und Corticoiden sein. In diesen Fällen können die eingesetzten Kosmetika adstringierenden Hamamelis-Extrakt oder Epigallocatechingallat (EGCG) enthalten. EGCG reguliert unter anderem den Proteinkinase-Inhibitor p57, der die Bildung von Keratinen und Filaggrinen steuert. Entzündliche Hautrisse können auch an den Lippen auftreten (Cheilitis) und werden dort ähnlich behandelt. Stärker haftende, 12-hydroxystearinsäureesterhaltige Präparate sind dabei eine Option.


Hand-Fuß-Syndrom
 

Das sogenannte Hand-Fuß-Syndrom ist eine Begleiterscheinung von Chemotherapien. Es äußert sich durch Schwellung, Rötung und Schuppung an Handinnenflächen und Fußunterseiten. Kosmetisch kann versucht werden, den Symptomen mit Tranexamsäure, nativem Phosphatidylcholin (enthält gebundene essenzielle Fettsäuren), Phosphatidylserin und Vitamin B6 entgegenzuwirken.

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Avenanthramide kommen fast ausschließlich im Hafer vor und zeigen eine antioxidative Wirkung.

Diabetischer Fuß


Schwieriger wird es beim diabetischen Fuß. Kosmetische Präparate können in diesem Fall nur präventiv oder an akut offenen Stellen erst eingesetzt werden, wenn die Wunde nicht mehr nässt. Lipidreiche Oleogele wirken spannungsmildernd. Fettstoffe reichen jedoch allein nicht aus. Zusätzliche feucht haltende Filme aus langkettiger Hyaluronsäure zusammen mit N-Acetyl-Glucosamin sowie antientzündliche Stoffe in Form von Protease-Inhibitoren (Boswelliasäuren) und regenerierendes Phosphatidylserin helfen adjuvant bei der medikamentösen Behandlung. 


Wohlfühlmomente schaffen


Statt oder zusätzlich zu der bereits beschriebenen Hautreinigung bieten sich Bäder oder Teilbäder an, die naturgemäß nicht irritieren oder auslaugen dürfen. Sie vermitteln einerseits Wohlfühlmomente, sind aber andererseits mit passenden Wirkstoffen auch sinnvoll bei krankheitsbedingten Hautläsionen und Ekzemen. Wie bei barriereaktiven Pflegecremes ist beim Einsatz von Ölbädern die Freiheit von nicht abbaubaren synthetischen Emulgatoren eine Randbedingung. 
Im Unterschied zu lamellaren Cremes kann mit nativem, aus pflanzlichen Zellmembranen stammendem Phosphatidylcholin (PC) gearbeitet werden. PC-Pflanzenöl-Mischungen werden in Wasser dispergiert und transportieren die im Öl befindlichen Fett- und Wirkstoffe aufgrund der hohen Affinität des PC zum Keratin direkt auf die Haut. Das Resultat ist ein feiner, seidig anmutender pflegender Film, der nach dem Bad auf der Haut verbleibt. 
Unter dem Wohlfühlaspekt lassen sich Bäder gegebenenfalls mit einer Aromatherapie verbinden. Für empfindliche Personen sind dabei die deklarationspflichtigen potenziellen Allergene der verwendeten ätherischen Öle anhand der INCI zu beachten. 


Juckreiz hemmen
 

Wenn Juckreiz nervt, lassen sich Pflegecremes mit physiologischen Amiden ausstatten, die neben der Reizhemmung über zusätzliche Wirkungen verfügen, wie die Beispiele im Kasten zeigen. 
 

Reizhemmende Pflege mit weiterer Wirkung 

  • Harnstoff und Allantoin erhöhen die Hautfeuchte.
  • D-Panthenol (Provitamin B5) wirkt zellproliferativ.
  • Palmitinsäuremonoethanolamid  ist ein endocannabinoider Hautschutzstoff.
  • Niacinamid (Vitamin B3) wirkt regenerativ.
  • Ceramide sind barriereaktiv.
  • Avenanthramide kommen in Haferextrakten vor und besitzen eine antioxidative Wirkung.


Offene Wunden


Ein letztes, aber wichtiges Thema sind offene Wunden, wie sie unter anderem bei Brustkrebs im Endstadium auftreten. Sie verströmen, obwohl sie täglich neu verbunden werden, durch die Nekrose des Gewebes schnell einen fauligen Geruch, der bereits in geringen Konzentrationen wahrgenommen wird. In diesem Fall sind geeignete geruchsüberdeckende Duftstoffe unter der Kleidung gefragt, die eventuell mit einer Deo-Wirkung kombiniert werden. 

 Foto: Dr. Hans Lautenschläger

Dr. Hans Lautenschläger


Der promovierte Chemiker ist seit 1998 geschäftsführender Gesellschafter der Koko Kosmetikvertrieb GmbH & Co. KG in Leichlingen und spezialisiert auf die Entwicklung, die Herstellung und den Vertrieb physiologischer Hautpflegemittel. www.dermaviduals.de

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