Hallux valgus, auch als Ballenzeh bezeichnet, ist eine Fehlstellung des Großzehs, bei der der erste Mittelfußknochen nach innen und der Großzeh selbst nach außen abweicht. Diese Deformität führt häufig zur Bildung eines Ballens an der Fußinnenseite, der schmerzhaft sein kann und sich im Laufe der Zeit verschlimmern kann.
Der Hallux valgus tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf. Die Veranlagung zur Entwicklung dieser Deformität kann genetisch bedingt sein, und sie tritt häufig in Verbindung mit anderen Fußproblemen wie Plattfüßen auf.
Die Prävalenz von Hallux valgus variiert stark in der Bevölkerung, aber Schätzungen zufolge leiden etwa 23 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 65 Jahren und bis zu 35 Prozent der über 65-Jährigen an dieser Erkrankung. Bei Frauen ist die Prävalenz deutlich höher, was oft auf das Tragen von Schuhen mit hohen Absätzen oder engem Vorfußbereich zurückgeführt wird.
Der Hallux valgus hat sowohl funktionelle als auch ästhetische Auswirkungen. Funktionell kann die Deformität zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit und zu Schmerzen führen, insbesondere beim Tragen von Schuhen. Ästhetisch kann die sichtbare Fehlstellung des Großzehs das Selbstbewusstsein und Wohlbefinden der Betroffenen beeinträchtigen.
Der Hallux valgus kann erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität haben. Zu den häufigsten Beschwerden gehören Schmerzen im ersten Mittelfußknochen beziehungsweise Großzehengrundgelenk beim Gehen, die aber auch in Ruhe auftreten können. Beim Tragen enger Schuhe bilden sich häufig Druckstellen über dem Ballen. Bei ausgeprägtem Hallux valgus kann es sogar zu Hautmazerationen und Entzündungen kommen.
Weiterhin führt diese Deformität in erster Linie durch die Schmerzen zu einer eingeschränkten Mobilität. Die Betroffenen haben außerdem Schwierigkeiten beim Schuhkauf und müssen bequemen Schuhen gegenüber engen Schuhen oder High Heels den Vorzug geben. Auch die psychosoziale Belastung durch die äußerlich sichtbare Fehlstellung der Zehen ist nicht unerheblich.
Anatomie und Mechanismen der Deformität
Anatomisch gesehen spielt der erste Mittelfußknochen in Verbindung mit dem Großzeh eine entscheidende Rolle. Der erste Mittelfußknochen (Metatarsale I) ist wichtig für die Stabilität und Funktion des Fußes. Er verbindet sich mit dem Grundglied des Großzehs (Phalanx proximalis) und bildet das erste Metatarsophalangealgelenk (MTP-Gelenk).
Der Hallux besteht aus zwei Phalangen (Proximal- und Endglied), die durch ein interphalangeales Gelenk miteinander verbunden sind. Unter dem ersten Mittelfußknochen befinden sich zwei kleine Sesambeine, die als Hebelarme wirken und eine wichtige Rolle bei der Kraftübertragung während des Gehens spielen.
Das erste Metatarsophalangealgelenk ist ein Kugelgelenk, das eine wichtige Rolle bei der Abrollbewegung des Fußes spielt. Es wird von mehreren Bändern stabilisiert, da-runter das laterale und mediale Kollateralband.
Die Plantarfaszie erstreckt sich entlang der Fußsohle und trägt zur Stabilität des Fußgewölbes bei. Die Sehnen der Fußmuskulatur, insbesondere der Musculus abductor hallucis und Musculus adductor hallucis, steuern die Bewegung des Großzehs. Die inneren Fußmuskeln stabilisieren die Zehen und das Fußgewölbe. Der Musculus abductor hallucis zieht den Großzeh nach innen, während der Musculus adductor hallucis ihn nach außen zieht. Eine Dysfunktion oder Schwäche der inneren Fußmuskulatur, insbesondere des Musculus abductor hallucis, kann zu einem Ungleichgewicht der Kräfte führen, die auf den Großzeh wirken. Dadurch wird der Großzeh nach lateral (zur Fußaußenseite) abgelenkt.
Die äußere Fußmuskulatur hat ihren Ursprung im Unterschenkel und wirkt auf den Fuß. Sie spielt eine Rolle bei der Beugung und Streckung des Großzehs. Durch die Fehlstellung des Großzehs verändert sich die Zugrichtung der Sehnen, was die Fehlstellung weiter verschärfen kann. Die Sehnen, die normalerweise den Großzeh stabilisieren, ziehen ihn nun weiter in die Fehlstellung.
Die Stabilität des ersten MTP-Gelenks hängt von den umgebenden Bändern ab. Eine Überdehnung der Bänder, insbesondere des medialen Kollateralbands, führt zu einer Instabilität im Gelenk und begünstigt die Abweichung des Großzehs nach lateral. Bei Menschen mit Hypermobilität oder schwachen Bändern tritt Hallux valgus häufiger auf, da diese Faktoren zu einer Instabilität des ersten MTP-Gelenks führen können.
Einflussfaktoren
Bei Hallux valgus kommt es zu einer Verschiebung des Körpergewichts und der Druckbelastung im Fuß. Dies führt zu einem erhöhten Druck auf den lateralen Bereich des MTP-Gelenks, was die Deformität verstärkt und Schmerzen verursacht. Enge, spitz zulaufende Schuhe oder solche mit hohen Absätzen üben zusätzlichen Druck auf den Vorfuß aus, was die Fehlstellung verschlimmern kann. Frauen, die häufig solche Schuhe tragen, sind daher besonders anfällig für die Entwicklung eines Hallux valgus.
Ursachen und Risikofaktoren
Genetische Faktoren können auch eine entscheidende Rolle für das Auftreten von Hallux valgus spielen. Eine der Hauptursachen für Hallux valgus ist eine genetische Prädisposition. Menschen, bei denen nahe Verwandte wie Eltern oder Großeltern an Hallux valgus leiden, haben ein erhöhtes Risiko, diese Fehlstellung ebenfalls zu entwickeln. Diese Veranlagung betrifft häufig die Fußstruktur einschließlich der Fußform und der Beschaffenheit der Bänder.
Auch nach Verletzungen des Fußes, insbesondere des ersten Mittelfußgelenks oder der Bänder, kann sich die anatomische Struktur verändern und eine Neigung zur Entwicklung eines Hallux valgus fördern. Die Fehlstellung entwickelt sich meist langsam über die Jahre hinweg. Anfangs ist der Hallux valgus oft asymptomatisch, aber mit fortschreitender Deformität nehmen die Beschwerden wie Schmerzen und Entzündungen zu. Es gibt etliche Risikofaktoren für das Auftreten eines Hallux valgus (siehe Kasten).
Hallux-valgus-Symptome
- Deformität des Großzehs: Sichtbare Fehlstellung des Großzehs, der sich nach außen (lateral) neigt, oft mit einem knöchernen Vorsprung an der Basis des Zehs (Ballenbildung)
- Schmerzen: Schmerzen im Bereich des ersten Mittelfußgelenks, die sich bei Belastung, insbesondere beim Gehen oder Tragen enger Schuhe, verschlimmern können. Entzündungen und Rötungen um den Ballen, verursacht durch Reibung an der Schuhinnenseite
- Schwellung: Schwellung und Verdickung der Haut über dem betroffenen Gelenk, oft begleitet von Druckempfindlichkeit
- Einschränkung der Beweglichkeit: Eingeschränkte Beweglichkeit des Großzehs, was das Gehen und Stehen erschwert
- Sekundäre Deformitäten: Auftreten von Hammerzehen oder Krallenzehen, insbesondere bei den zweiten und dritten Zehen, da die Fehlstellung des Großzehs Druck auf die benachbarten Zehen ausübt
- Druckstellen und Schwielen: Bildung von Schwielen und Hühneraugen, insbesondere unter dem Vorfuß oder an den Zehen, aufgrund der veränderten Druckverteilung
Risikofaktoren im Überblick
- Geschlecht: Frauen leiden deutlich häufiger unter Hallux valgus als Männer. Dies wird häufig auf die Verwendung von modischem Schuhwerk (zum Beispiel hohe Absätze, enge oder spitz zulaufende Schuhe) sowie hormonelle Einflüsse zurückgeführt, die das Bindegewebe weicher machen können.
- Alter: Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, einen Hallux valgus zu entwickeln. Dies liegt an der altersbedingten Abnutzung der Gelenke und der möglichen Schwächung der Bänder und Muskeln, die den Fuß stabilisieren.
- Schuhwerk: Schuhe mit hohen Absätzen verlagern das Körpergewicht nach vorne, was den Druck auf den Vorfuß erhöht und die Fehlstellung begünstigt. Schuhe, die den Vorfuß einengen, können die Zehen in eine unnatürliche Position zwingen und den Hallux valgus verschlimmern.
- Berufsbedingte Belastungen: Menschen, die lange stehen müssen, wie zum Beispiel Verkäufer oder Pflegekräfte, haben ein erhöhtes Risiko, da die kontinuierliche Belastung des Vorfußes zur Entwicklung eines Hallux valgus beitragen kann.
- Übergewicht: Übergewicht belastet die Füße zusätzlich und erhöht den Druck auf den Vorfuß, was das Risiko einer Fehlstellung des Großzehs erhöht.
- Sportliche Aktivitäten: Sportarten, die den Vorfuß stark belasten, wie Ballett, Leichtathletik oder Fußball, können das Risiko eines Hallux valgus erhöhen. Insbesondere Balletttänzer sind aufgrund der ständigen Belastung der Zehen häufig betroffen.
- Schwangerschaft: Während der Schwangerschaft führen hormonelle Veränderungen zu einer Lockerung des Bindegewebes, was das Risiko einer Hallux-valgus-Entwicklung erhöhen kann.
Hallux valgus beidseits
Nach der operativen Korrektur beider
Füße ist die Fehlstellung behoben.
Der linke Fuß ist bereits operiert und steht im Kontrast zu dem rechten noch nicht operierten Fuß.
Fuß mit ausgeprägtem Hallux valgus vor der OP
Korrigierte Fußstellung nach der Operation
Diagnose
Zur Diagnose eines Hallux valgus führt in erster Linie die Blickdiagnostik, die die Deformität von milder Ausprägung bis hin zu einer extremen Ausbildung erfasst und die Fußform im Allgemeinen beurteilt (zum Beispiel Plattfuß, Spreizfuß, Knickfuß). Anamnestisch sind die Angaben der Patienten zu den Symptomen sowie die Frage nach der familiären Disposition wichtig.
Bei der klinischen Untersuchung des Fußes wird auch die Beweglichkeit des ersten Mittelfußgelenks und die damit verbundene Schmerzhaftigkeit erfasst. Die Haut des Fußes wird auf Druckstellen, Schwielen oder Entzündungen hin untersucht.
Neben der klinischen Untersuchung spielt natürlich auch die Röntgenuntersuchung des Fußes eine wichtige Rolle. Damit kann der Schweregrad der Deformität anhand bestimmter Knochenwinkel berechnet werden. Weiterhin wird bei dieser Untersuchung auch eine etwaige Arthrose des Zehengrundgelenks sichtbar, die sich häufig im Gefolge des Hallux valgus entwickelt.
Eine Ultraschalluntersuchung kann verwendet werden, um die Weichteile und Entzündungen um das Gelenk herum zu beurteilen.
Behandlungsmethoden
Bei milder Ausprägung des Hallux valgus sind konservative Behandlungsmaßnahmen wie die Verordnung spezieller Einlagen oder auch eine Schuhmodifikation hilfreich. In bestimmten Fällen kann auch Physiotherapie mit Stärkung der Fußmuskulatur eine Verbesserung bringen. Ziel dieser Behandlungen ist die Schmerzfreiheit oder eine deutliche Schmerzreduktion. Sollten die konservativen Behandlungsmöglichkeiten nicht den gewünschten Effekt erzielen, steht eine Vielzahl operativer Korrektureingriffe beim Hallux valgus zur Verfügung. Es gibt weit über 100 verschiedene Operationsverfahren (siehe Kasten), die jeweils in der Hand des Geübten gute Erfolge erzielen.
Verfahren im Überblick
- Osteotomie: Chirurgische Korrektur der Knochenfehlstellung durch Entfernen oder Umpositionieren von Knochenteilen. Es gibt verschiedene Techniken wie die Chevron-, Scarf- oder Lapidus-Osteotomie, abhängig vom Schweregrad der Deformität.
- Exostektomie: Entfernung des knöchernen Vorsprungs (Ballen), um den Druck und die Reibung zu verringern
- Arthrodese: Versteifung des betroffenen Gelenks in schweren Fällen, bei denen andere Operationsmethoden nicht wirksam sind
- Minimalinvasive Techniken: Einige Operationen können minimalinvasiv durchgeführt werden, was die Erholungszeit verkürzt und die Narbenbildung minimiert. In unserer Klinik führen wir ein minimalinvasives Verfahren (nach Bösch) durch, bei dem ein circa drei Millimeter großer Hautschnitt gesetzt wird. Dabei trennen wir den ersten Mittelfußknochen unterhalb des Gelenkkopfes und versetzen ihn dreidimensional. Zur Fixierung wird ein Titandraht eingeschoben, der nach vier Wochen schmerzfrei wieder entfernt wird, sodass kein Fremdkörper verbleibt. Nach der Operation sind eine gezielte Rehabilitation und Physiotherapie wichtig, um die Mobilität wiederherzustellen und Komplikationen wie die Bildung von Narbengewebe oder erneute Fehlstellungen zu vermeiden.
Prävention
Eine große Rolle spielt dabei die Auswahl des Schuhwerks. Es werden bequeme, breite Schuhe mit flachen Absätzen empfohlen, die ausreichend Platz für die Zehen bieten, um Druckstellen und Fehlstellungen zu vermeiden. Auch Übungen zur Stärkung der Fußmuskulatur und Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit, wie zum Beispiel Zehenspreizen, Greifübungen mit den Zehen und Dehnungen der Plantarfaszie, können hilfreich sein. Die Aufrechterhaltung eines gesunden Körpergewichts zur Reduzierung des Drucks auf die Füße und zur Vermeidung von Fehlstellungen ist ebenfalls ein wichtiger Faktor.
Aktuelle Studien und Erkenntnisse
Aktuelle Studien zeigen, dass minimalinvasive Verfahren zur Korrektur von Hallux valgus weniger postoperative Schmerzen und eine schnellere Rehabilitation bieten können. Diese Techniken reduzieren das Risiko von Komplikationen und führen zu besseren kosmetischen Ergebnissen.
Langzeitstudien zur Wirksamkeit verschiedener operativer Techniken haben gezeigt, dass die meisten Patienten eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität und Schmerzreduktion erfahren. Es wird jedoch weiterhin nach optimalen Methoden gesucht, um Rezidive zu vermeiden.
Genetische Studien untersuchen, welche spezifischen Gene zur Entwicklung von Hallux valgus beitragen. Diese Forschung könnte in Zukunft zu präventiven Maßnahmen führen, die auf genetischen Risikofaktoren basieren.
Dr. med. D.-K. Nowak
Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und spezielle orthopädische Chirurgie leitet die Praxis Orthopädie & Unfallchirurgie Bavaria und das European Foot Institute in München und London. Er ist spezialisiert auf die Vorfuß-Chirurgie, besonders Hallux valgus und Hallux rigidus. www.orthopaedie-bavaria.de, www.europeanfootinstitute.com