Zwischen Bauchgefühl und Hautreaktion

29.09.2025
Foto: Reezky Pradata/Shutterstock.com

Der ganzheitliche Blick auf mentale Gesundheit und Hautbild gewinnt in der medizinischen ­Forschung zunehmend an Bedeutung. Dabei rückt der Darm immer stärker in den Fokus als Spiegel seelischer und körperlicher Prozesse. 

Lange galt der Darm in erster Linie als Verdauungsorgan. Heute weiß man: Er ist ein hochkomplexes Ökosystem, das mit dem zentralen Nervensystem und dem Immunsystem auf vielfältige Weise kommuniziert. Über die sogenannte Darm-Hirn-Achse werden Hormone, Botenstoffe und Immunfaktoren ausgetauscht, die Einfluss auf Stimmung, Schlaf, Stressverarbeitung und auch auf die Haut nehmen. Das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im Verdauungstrakt, spielt dabei eine zentrale Rolle. Gerät dieses mikrobielle Gleichgewicht aus dem Lot, kann das nicht nur die psychische Gesundheit beeinträchtigen, sondern sich auch über stille Entzündungen und veränderte Immunreaktionen auf die Hautgesundheit auswirken.
Die chemischen Prozesse im Darm beeinflussen direkt, wie der Körper Nährstoffe verarbeitet und wie das Immunsystem auf äußere Einflüsse reagiert. Diese Stoffwechselvorgänge sind entscheidend für die Balance von Körper und Geist und somit auch für das Hautbild.

Darm als Gesundheitsmotor

Die biochemischen Vorgänge im Darm laufen rund um die Uhr und haben weitreichende Effekte auf unsere Gesundheit. Wenn Ballaststoffe aus der Nahrung auf bestimmte Darmbakterien treffen, entstehen dabei kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) wie Butyrat, Acetat und Propionat. Diese Metaboliten erfüllen essenzielle Funktionen: Butyrat dient als primäre Energiequelle für Kolonozyten und unterstützt die Integrität der intestinalen Epithelbarriere, unter anderem durch die Modulation von Tight-Junction-Proteinen wie Occludin und Claudin-1. 
Darüber hinaus wirken SCFAs immunmodulatorisch, indem sie über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR41, GPCR43) entzündungshemmende Zytokine wie IL-10 fördern und die Expression proinflammatorischer Signalwege (zum Beispiel NF-κB) hemmen. 
Grob gesprochen wirken diese Metabolite also nicht nur lokal als Energiequelle für die Darmschleimhaut, sondern beeinflussen auch systemische Prozesse: Sie senken Entzündungen, regulieren den Blutzucker, unterstützen das Immunsystem und fördern die Freisetzung von Sättigungshormonen. 
Ebenso relevant sind bakterielle Abbauprodukte von Gallensäuren und Aminosäuren, die als Signalmoleküle auf Leber, Gehirn und Haut wirken. Insgesamt zeigen Studien, dass eine gesunde mikrobielle Stoffwechselleistung entscheidend dafür ist, wie wir uns fühlen. 
Ein gestörter Mikrobiomstoffwechsel beziehungsweise mikrobielles Metabolitenprofil hingegen kann zu Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Hautproblemen und Verdauungsbeschwerden führen. Dadurch steht die Qualität und Diversität der bakteriellen Stoffwechselaktivität im direkten Zusammenhang mit dem physischen und psychischen Wohlbefinden.

Darmmikrobiom und Haut

Eine aktuelle Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München hat dabei systematisch untersucht, in welchem Zusammenhang das Darmmikrobiom und die Haut stehen. Dabei wurde das Mikrobiom von  Probanden mit Rosacea analysiert. Das Ergebnis: Personen mit unreiner oder gereizter Haut wiesen signifi-
kant häufiger eine Dysbiose auf,  ein Ungleichgewicht der Darmflo-
ra mit verringerter bakterieller Viel-
falt und einen erhöhten Anteil an  potenziell entzündungsfördernden Keimen. 
Eine mikrobielle Imbalance begünstigt stille Entzündungsprozesse, schwächt die Darmbarriere und beeinflusst über immunologische Signalwege auch die Haut. Symptome wie Pickel, Rötungen, Spannungsgefühle oder ein fahler Teint können Ausdruck dieser inneren Dysregulation sein. 

Stress als Verstärker 

Auch die Wechselwirkungen zwischen chronischem Stress und Hautgesundheit lassen sich immer besser erklären. Psychischer Stress wirkt sich direkt auf das vegetative Nervensystem und die hormonelle Regulation aus, etwa durch vermehrte Cortisolausschüttung oder veränderte Entzündungsparameter. Diese Vorgänge beeinflussen nicht nur die Stimmung und die mentale Leistungsfähigkeit, sondern verändern auch das Darmmikrobiom. 
Ein gestörtes Darmmikrobiom wiederum begünstigt die Entstehung mentaler Beschwerden wie Antriebslosigkeit, depressive Verstimmungen oder Schlafprobleme. Die Haut wird zum Mitspieler in diesem Kreislauf: Als sensibles Immunorgan reagiert sie auf Veränderungen im inneren Milieu mit sichtbaren Symptomen von Akne bis Neurodermitis.

Ganzheitliche Ansätze

Vor diesem Hintergrund wächst das Interesse an Verfahren, die Einblicke in das Mikrobiom und seine Zusammenhänge mit mentaler und dermatologischer Gesundheit bieten. Mithilfe des Einsatzes von künstlicher Intelligenz lässt sich heute die Zusammensetzung der Darmflora analysieren. Solche Verfahren liefern Hinweise auf eine mögliche Dysbiose, deren Ausgleich nicht nur das Hautbild verbessern, sondern auch das psychische Gleichgewicht stabilisieren kann. Ziel ist dabei nicht eine pauschale Behandlung, sondern eine individuelle, auf wissenschaftlicher Evidenz basierende Gesundheitsberatung. Empfehlungen zu Ernährung, Bewegung, Stressmanagement oder gezieltem Einsatz von probiotischen Substanzen können helfen, die mi-krobielle Vielfalt zu fördern und so einen positiven Einfluss auf Haut und Psyche zu nehmen.

Forschungsperspektiven

Die Forschung zur Darm-Haut-Achse befindet sich derzeit in einer dynamischen Phase. Neben der oben erwähnten Untersuchung laufen derzeit weitere Studien, in denen sowohl das Haut- als auch das Darmmikrobiom bei Menschen mit Hauterkrankungen wie Akne oder Rosacea analysiert werden. Ziel ist es, die Zusammenhänge noch besser zu verstehen und wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für eine inte-grative Behandlung zu entwickeln. 
Dabei rückt auch die Verbindung zur Kosmetikindustrie zunehmend in den Fokus. Denn wenn das Hautbild maßgeblich durch das Mikrobiom beeinflusst wird, gewinnt die innere Balance eine neue Rolle in der Hautpflege. Der Gedanke „Schönheit kommt von innen“ erhält damit eine neue, wissenschaftlich fundierte Dimension.

Holistic Beauty

Was haben Darmbakterien mit Haut und Schönheit zu tun? Unsere Darmbakterien beeinflussen weit mehr als nur die Verdauung. Sie spielen eine zentrale Rolle für unser Immunsystem, unseren Stoffwechsel, unsere Stimmung und sogar unsere Haut.
Multi-omics-Technologien wie Metagenomik, Metatranskriptomik und Metabolomik ermöglichen erstmals eine detaillierte funktionelle Analyse individueller Mikrobiomprofile.

Insbesondere die Verbindung zwischen Mikrobiom, Haut und Wohlbefinden gewinnt wissenschaftlich an Relevanz. Neue klinische Studien zeigen, dass bestimmte probiotische Stämme (zum Beispiel Lactobacillus plantarum, Bifidobacterium longum) entzündliche Hautprozesse wie Akne oder atopische Dermatitis signifikant reduzieren können. 
Statt nur auf Cremes zu setzen, geht es darum, die Haut über den Darm mit wichtigen Nährstoffen, Vitaminen und Schutzstoffen zu versorgen. Probiotika, fermentierte Lebensmittel und personalisierte Ernährungskonzepte gelten mittlerweile als Beauty-Tools mit echtem Mehrwert, belegt durch eine wachsende Zahl an Studien.

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Foto: Barbara Sladek

Dr. Barbara Sladek
Die Biochemikerin ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von Biome Diagnostics. 2018 gründete sie Biome Diagnostics zusammen mit Dr. 
Nikolaus Gasche mit dem zentralen Fokus, das Potenzial des Darmmikrobioms medizinisch nutzbar zu machen. www.biome-dx.com

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