Auf Wiedersehen, Vertrauensarbeitszeit?

24.02.2023
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Bedeutet das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) das Ende der Vertrauensarbeitszeit? Rechtsanwalt Stefan Engels stellt das Urteil vor.

Dieser am 13.09.2022 veröffentlichte Satz (Az.: 1 ABR 22/21) des BAG löste eine gleichermaßen hitzige wie kontroverse Debatte aus: „Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.“ Was heißt diese mit weitreichenden Folgen verbundene Entscheidung nun konkret?

Wie es zum BAG-Urteil kam

Mit seinem Grundsatzurteil, dass eine generelle Pflicht besteht, die Arbeitszeit zu erfassen, hat der Erste Senat des BAG eigentlich nichts radikal Neues entschieden. Er beruft sich nämlich auf das bereits im Mai 2019 vom Europäischen Gerichtshof gefällte „Stechuhr-Urteil“, in dem es seinerzeit allen Mitgliedsstaaten vorgeschrieben hatte, Regelungen zur Dokumentation der Arbeitszeit zu schaffen. Damit handelt es sich um eine europäische Vorgabe, die lediglich in den vergangenen drei Jahren vom zuständigen deutschen Gesetzgeber links liegen gelassen wurde.

Was bisher galt

In Deutschland sind Unternehmen bisher nicht gesetzlich verpflichtet, die genauen Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu dokumentieren. Doch hiervon gibt es zahlreiche Ausnahmen, etwa für bestimmte Berufsgruppen oder Branchen. So müssen geringfügig Beschäftigte nach § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz bereits seit 2014 ihre Arbeitszeiten aufzeichnen. Und auch in etlichen Wirtschaftsbranchen wie dem Baugewerbe, dem Gaststättengewerbe, dem Personenbeförderungs- und Speditionsgewerbe oder in der Fleischwirtschaft werden bereits Arbeitszeiten erfasst, um Schwarzarbeit zu verhindern. Auch die gesetzlichen Regelungen zu Ruhepausen, Ruhezeiten, täglicher Höchstarbeitszeit und zum Verbot von Arbeit an Sonn- und Feiertagen gelten übrigens heute schon. Insofern ändert sich durch das vorliegende Urteil gar nichts.

Was zukünftig gelten könnte

Das höchstrichterliche Urteil betrifft im Zweifel aber alle der aktuell rund 45 Millionen Beschäftigten in Deutschland, von denen ein Großteil in einem Vertrauensarbeitszeitmodell arbeitet. „Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet im Grunde, dass Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten eigenverantwortlich planen und dafür sorgen, das mit ihrem Arbeitnehmer vereinbarte Zeitvolumen tatsächlich zu erfüllen. Bisher war ein wesentlicher Bestandteil der Vertrauensarbeitszeit, dass Arbeitgeber darauf verzichteten, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Vor dem Hintergrund der Entscheidung dürfte sich gerade das nur schwer aufrechterhalten lassen, oder anders ausgedrückt: Die Flexibilität der Vertrauensarbeitszeit bleibt sehr wahrscheinlich bestehen, aber Vertrauen wird nun um Dokumentation ergänzt.


Was sich deshalb empfiehlt

Es besteht kein Grund zum Trödeln, denn nach dieser Entscheidung ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Bundesregierung ein Gesetz vorlegt und verabschiedet. Daher sollten Unternehmen die aktuelle Phase unbedingt nutzen, um sich bereits jetzt nach einem geeigneten System für die Zeiterfassung umzusehen. Da die technischen Voraussetzungen für die Umsetzung der Urteile in den meisten Fällen ohnehin bereits heute existieren, ist es ganz nebenbei bemerkt auch eine Chance, einen weiteren Baustein in puncto „Digitalisierung“ für das eigene Unternehmen hinzuzufügen.

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Stefan Engels

Rechtsanwalt, Mönchberg, Tätigkeitsschwerpunkte: Geschäftsfeldentwicklung und Internationalisierung von Unternehmen

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