
Interview mit Prof. Dr. med. Sven Quist

Prof. Dr. med. Sven Quist
Mit Dr. med. Jennifer Quist betreibt der Facharzt eine dermatologische Gemeinschaftspraxis in Mainz. Im Fokus steht im Haut- und Laserzentrum Anti-Aging über minimalinvasive Verfahren.
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Wie lässt sich das Risiko auf Borreliose minimieren?
Wer in die Natur geht, sollte zu langen Hosen, langärmeligen Oberteilen und geschlossenen Schuhe greifen. Helle Kleidung erleichtert außerdem das Erkennen von Zecken. Hosenbeine sollte man gut in die Socken stecken, so haben Zecken weniger Möglichkeiten, unter die Kleidung zu gelangen. Zusätzlich hilft Zeckenschutzmittel (Repellentien), die Zecken fernzuhalten. Nach dem Aufenthalt im Freien gilt: Gründlich absuchen. Zecken wandern oft einige Zeit auf der Haut, bevor sie zustechen. Eine frühzeitige Entfernung kann eine Infektion demnach verhindern. Besonders gefährdete Stellen sind dabei Kniekehlen, Achseln, die Leistengegend, der Haaransatz und die Stellen hinter den Ohren.
Was kann ich nach einem Stich tun?
Dann ist es sehr wichtig, die Zecken richtig zu entfernen. Eine Zecke sollte immer mit einer Zeckenzange, Zeckenkarte oder Pinzette möglichst nah an der Haut gefasst und langsam gerade herausgezogen werden. Keinesfalls sollten Betroffene Öl, Klebstoff oder Alkohol verwenden. Das kann dazu führen, dass die Zecke vermehrt Speichel abgibt, was das Infektionsrisiko erhöht. Nach der Entfernung sollte man die Einstichstelle desinfizieren und gründlich beobachten. Ein roter Ring um die Einstichstelle (Wanderröte) kann ein erstes Anzeichen für Borreliose sein. Weitere Symptome sind Fieber, Kopfschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen. Bei Verdacht sollte man sofort zum Arzt gehen – eine frühzeitige Antibiotikatherapie kann die Krankheit verhindern. Übrigens: Gegen FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) gibt es eine Impfung, aber sie schützt nicht vor Borreliose!
Welche sind die typischen Hauterscheinungen?
Die typischen Hauterscheinungen bei Borreliose variieren abhängig vom Krankheitsstadium: Das frühe Stadium (lokale Infektion) zeigt sich als Erythema migrans (Wanderröte). Es handelt sich hier um einen kreisförmigen, ovalen roten Hautausschlag um die Einstichstelle, der sich langsam ausbreitet und zudem oft blasser in der Mitte sein kann. Er entwickelt sich meist 3 bis 30 Tage nach dem Zeckenstich und ist nicht juckend oder schmerzhaft, aber oft warm beim Berühren.
Das zweite Stadium (frühe disseminierte Infektion) zeigt ein Borrelien-Lymphozytom (seltener) und eine bläulich-rote weiche Schwellung der Haut. Diese befindet sich meist an den Ohrläppchen, Brustwarzen oder im Genitalbereich und ist besonders häufig bei Kindern.
Das späte Stadium (chronische Borreliose, meist Monate bis Jahre nach der Infektion) zeigt eine Acrodermatitis chronica atrophicans (Herxheimer-Krankheit). Sie betrifft vor allem Hände, Füße oder Unterschenkel. Zunächst ist sie entzündlich mit einer bläulich-roten Verfärbung und Schwellung der Haut. Dann wird sie atrophisch, das heißt, die Haut wird dünn, pergamentartig und glänzend. Man spricht auch von einer Haut wie Zigarettenpapier.
Wie wird Borreliose therapiert und was hilft, wenn die Einstichstelle juckt?
Die Behandlung hängt vom Krankheitsstadium ab. Da Borreliose durch Bakterien (Borrelien) verursacht wird, er-
folgt die Therapie mit Antibiotika. Im frühen Stadium nehmen Betroffene Doxycyclin, sofern sie erwachsen, über neun Jahre und nicht schwanger sind. Schwangere und Kinder werden mit Antibiotika wie Amoxicillin oder Cefuroxim behandelt. Die Dauer beträgt 10 bis 21 Tage. In der Regel heilt die Infektion ohne Spätfolgen ab.
Im fortgeschrittenen Stadium (disseminierte oder chronische Borreliose) muss der behandelnde Arzt schauen, ob und wie weit die Infektion fortgeschritten ist. Haben die Erkrankten zum Beispiel Neuroborreliose, Gelenkentzündungen oder Herzprobleme, sind längere Antibiotikatherapien nötig. Hier kommen orale Antibiotika wie Doxycyclin zum Einsatz. Bei schwereren Verläufen erfolgt eine intravenöse Therapie mit Ceftriaxon oder Penicillin G mit einer Dauer von 14 bis 28 Tage oder sogar mehreren Monaten.
Juckreiz an der Zeckenstichstelle ist kein typisches akutes Symptom von Borreliose, sondern meist eine harmlose Reaktion der Haut. Dennoch kann man ihn durch Kühlen lindern, etwa mit kalten Umschlägen oder einem Kühlpack, was man mit Tuch umwickelt, um Erfrierungen zu vermeiden. Möglich ist auch die Anwendung eines Antihistamin-Gels, um den Juckreiz zu reduzieren, sowie Hausmittel wie Aloe vera oder Apfelessig zur Beruhigung der Haut.
Warum gibt es noch keine Impfung gegen Borrelien und wie ist der wissenschaftliche Stand?
Es ist deshalb so schwer, einen Impfstoff gegen Borrelien zu entwickeln, da Borrelien sehr vielfältig sind. Es gibt zahlreiche Unterarten in Europa und in den USA. Eine frühere Impfung (LYMErix) wurde 1998 in den USA zugelassen, aber wegen geringer Nachfrage und Sicherheitsbedenken 2002 wieder vom Markt genommen.
Der Impfstoff VLA15 des Unternehmens Valneva (in Zusammenarbeit mit Pfizer) befindet sich in der letzten klinischen Testphase und soll gegen mehrere Borrelien-Stämme schützen. Eine solche Impfung könnte bis 2026 auf den Markt kommen, wenn die Studien erfolgreich verlaufen.