Serie Stoffkunde:
bakteriell erzeugte Polysaccharide

12.05.2025
Foto: SergeiShimanovich/Shutterstock.com

Es gibt Stoffe, bei denen­ ­immer wieder Verwirrung hinsichtlich ihrer Bezeichnung und Anwendung im medizinischen oder kosmetischen Kontext besteht. In dieser Serie stellt die ­promovierte Chemikerin  Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu die prominentesten Beispiele vor und klärt auf.

Bakteriell hergestellte Substanzen gewinnen in der Kosmetik, Lebensmittelindustrie und Medizin zunehmend an Bedeutung. Bakterien können eine Vielzahl von Substanzklassen synthetisieren, darunter Antioxidantien, Lipide, Enzyme und Polysaccharide. Mittels der Herstellung  biotechnologischer Stoffe können präzise zusammengesetzte Moleküle mit definierten Kettenlängenverteilungen oder spezifische molekulare Konformationen erhalten werden. 
Die bakterielle Fermentation ist eine nachhaltige Methode, bei der häufig pflanzliche Rohstoffe, Pflanzenreste oder Nebenprodukte aus der Agrarwirtschaft als Ausgangsmaterialien verwendet werden. Diese Kreislaufwirtschaft ermöglicht die effiziente Nutzung von Reststoffen und minimiert Abfall. Darüber hinaus können durch diesen Ansatz große Mengen an Substanzen in besonders reiner Form hergestellt werden, was nicht nur den Einsatz in unterschiedlichen Bereichen erweitert, sondern auch zu einer Reduktion der Produktionskosten führt. Insgesamt trägt dieser Prozess zu einer ressourcenschonenden und umweltfreundlichen Industrie bei.
Es lassen sich sowohl bekannte Polysaccharide herstellen als auch neuartige, bisher wenig verwendete Vertreter dieser Substanzklasse über die bakterielle Fermentation herstellen.

Bekannte Polysaccharide

Hyaluronsäure ist das beste Beispiel für die Wirkmacht bakterieller Fermentation. Sie wird von verschiedenen Spezies des Bakteriums Streptococcus gebildet. Früher wurde Hyaluronsäure aus tierischem Gewebe extrahiert und war unglaublich teuer. Sie kam deswegen vorwiegend bei medizinischen Anwendungen zum Einsatz.  Durch die Verfügbarkeit unterschiedlicher Kettenlängen-Verteilungen und den günstigen Preis konnte sich dieser Rohstoff als Super-Hautbefeuchter und Faltenkiller durchsetzen. Hilfreich ist dabei sicherlich auch, dass er als  Dermal Filler in der ästhetischen Dermatologie eingesetzt wird.1
Cellulose ist eines der wichtigsten industriellen Polysaccharide.2 Aber wer sagt, dass Cellulose immer aus Pflanzen gewonnen werden muss?  Auch hier kann man sich bakterieller Fermentationsprozesse bedienen und andere Anwendungsbereiche erschließen. 
Zum einen gibt es Cellulose in Form von Vlies,3 das als Wundauflage oder auch in der Kosmetik verwendet werden kann. Zum anderen ist Cellulose als Liquid im Handel.4 Das ist ein gebrauchsfertiges Cellulose-Liquid, das kosmetische Formulierungen stabilisiert, ohne zu verdicken. Es erleichtert die Suspendierung von Wirkstoffen, ist pH-tolerant und bildet klare Gele.

Neuartige Polysaccharide

Xanthan Gum (hergestellt mit dem Bakterium Xanthomonas campestris) ist neben der Hyaluronsäure eines der wirtschaftlich wichtigsten bakteriell synthetisierten Polysaccharide. Es findet Einsatz sowohl  in der Lebensmittel- und Geträn­keindustrie als auch in der Medizin, Pharmazie und Kosmetik.5 Der Trei-
ber des Marktwachstums ist die Nachfrage nach glutenfreien Lebensmitteln. 
In der Kosmetik wird es meist als Verdicker zusammen mit anderen Polymeren eingesetzt. Besonders interessant ist es in der Naturkosmetik, die auf synthetische Verdicker, die als Mikroplastik gelten – wie Acrylate, Carbomer, Crosspolymer, Copolymer oder Polybutene – verzichten möchte. Xanthan Gum weist dabei gute stabilisierende Eigenschaften auf und wirkt mit vielen anderen Poylsacchariden synergistisch.6 Nachteilig jedoch ist, dass reine Xanthan-Gele ein eher ungünstiges, glitschiges Hautgefühl hinterlassen. Kommerziell erhältlich sind deswegen auch Mischungen von Xanthan Gum mit Guar Gum oder Locust Bean Gum.7
Dextran ist das Fermentations­produkt des Bakteriums Leuconostoc mesenteroides. Es besteht aus α(1->6) verknüpfter Glucose mit
α(1->3) glycosidischen Verzweigungen.
Als Rohstoff für die Kosmetik kommt Natrium Dextran Sulfate in den Handel. Dort steht der kosmetische Einsatz allerdings erst am Anfang und wird bisher nur in einigen wenigen Produkten realisiert.Derzeit sind die Haupteinsatzbereiche von Dextran noch in der Medizin, wo es als Blutplasmasubstitut oder als antithrombotisch wirkende Substanz eingesetzt wird, sowie in der Augenheilkunde.9 Für die Kosmetik sprechen seine ausgesprochen guten Hautbefeuchtungseigenschaften. Die beruhigenden Eigenschaften von Dextran machen es zu einem wirksamen Mittel, um trockene, problematische Haut zu lindern, die Anti-Aging-Aktivität zu verbessern und Hautreizungen zu reduzieren.10 Und das klingt doch dann ganz nach einem Herausforderer für Hyaluronsäure.

Die Revolution in der Verpackungstechnik? 

Filme und Folien sind in der Kosmetik und bei Lebensmitteln wichtige Verpackungshilfen. Wenn sie kostengünstig durch biologisch abbaubare Produkte ersetzt werden können, ist das hilfreich. In Start-up-Mentalität geht es gerade im  Lebensmittelbereich beim Thema essbare Folien zu, in dem Bereich wird eine Wachstumsrate von 7,5 Prozent erwartet.11
Dabei werden gerade zwei Polysaccharide – nämlich Pullulan und Curdlan – intensiv untersucht.12 Es geht dabei nicht nur um die (interessanten bioaktiven) Eigenschaften, die die Rohstoffe an sich haben, sondern auch um chemische Modifikationen, um zum Beispiel thermoplastische Polymere zu erhalten.13, 14 Für die Verwendung in Medizin und Kosmetik ist natürlich die toxikologische Unbedenklichkeit eine Grundvoraussetzung, die diese Substanzen erfüllen.15, 16
Pullulan ist insofern besonders, als hier kein Bakterium, sondern der Pilz Aureobasidium pullulans für die Synthese des Polysaccharids verantwortlich ist. Pullulan ist wasserlöslich und bildet essbare Folien:17 Das Molekül besteht aus Maltotriose – eine Einheit von drei Glukosemolekülen – , die α(1->4) und α(1->6) glycosidisch verbunden sind. (In der Cellulose sind die Glucose-Moleküle ß(1->4) glycosidisch verbunden.) In der Pharmazie wird es zur Herstellung von Beschichtungen, Kapseln und Formulierungen mit verlängerter Wirkstoff-Freisetzung verwendet.18 
Curdlan lässt sich mittels des Bakteriums Agrobacterium radiobacter (und anderen nicht pathogenen Bakterienstämmen) herstellen, das zu den ß-Glucanen gehört. Es ist ein bakterielles Polysaccharid, das in letzter Zeit aufgrund seiner interessanten und wertvollen rheologischen Eigenschaften und seiner inhärenten Bioaktivität auf großes Interesse gestoßen ist.19


Literatur:
    1    Lanzendörfer-Yu, G.,  Hyaluronsäure: Ganz natürlich?, Beauty Forum 4/24, S. 100
    2    Lanzendörfer-Yu, G., Stoffkunde: Polysaccharide, Beauty Medical 06/24, S. 24
    3    https://dejayu.de/bakterielle-nanocellulose-ein-oeko-trend-trifft-die-kosmetik/
    4    www.lubrizol.com/Personal-Care/Products/Product-Finder/Products-Data/Arbalon-R-50-cellulose-liquid .
    5    www.databridgemarketresearch.com/de/reports/global-xanthan-gum-research-market
    6    https://olionatura.de/kosmetikrohstoffe/gelbildner/xanthan/
    7    www.cpkelco.com/products/xanthan-gum/kelgum-xanthan-blends-i-cp-kelco/
    8    www.mdpi.com/2673-4176/2/3/33
    9    www.mdpi.com/1999-4923/13/10/1628
    10    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/9783527848133.ch21
    11    https://straitsresearch.com/de/report/edible-films-and-coatings-market 
    12    www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0141813024002150 
    13    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/pol.20200087
    14    www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0008621522002336
    15    https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.2903/j.efsa.2004.85
    16    www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/8985
    17    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1155/2024/2633384 
    18    www.businessresearchinsights.com/market-reports/pullulan-market-106685 
    19    https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/bm500038g#

Foto: Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu

Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu
Die Autorin ist unabhängige
Beraterin und war als Chemikerin
in der kosmetischen Produktentwicklung tätig.
www.dejayu.de 

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