Alter vor Schönheit?

02.09.2025
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Alt werden? Das kriegen wir doch immer besser hin! Wie Longevity-Forschung die äußere und die innere Gesundheit berücksichtigt und was das für Beauty-Profis bedeutet, lesen Sie hier.

Denn die Lebenserwartung hat sich in den vergangenen 150 Jahren praktisch verdoppelt. In Deutschland liegt die durchschnittliche Lebensdauer bei Frauen über 83 Jahre, und Männer werden immerhin 78 Jahre alt. Genug Lebenszeit also, um drei- bis viermal den Arbeitgeber zu wechseln, vier bis fünf Umzüge zu absolvieren, sechs bis acht Autos zu besitzen und mit etwas Glück auch einem Gedicht der Enkel zum 80. Geburtstag zu lauschen.
Aber eins wird uns allen mittlerweile auch immer klarer: Länger zu leben bedeutet nicht automatisch, auch besser in Gesundheit zu leben. Und hier beginnt die eigentliche Herausforderung. Denn was bringen uns zehn zusätzliche Lebensjahre, wenn wir sie mit Schmerzen, chronischer Krankheit und hilflos in Pflege verbringen?
Genau deshalb sprechen wir heute nicht mehr nur von der Lebensdauer (Englisch: Lifespan), sondern immer mehr von der gesunden und aktiven Spanne unseres Lebens, der sogenannten Gesundheitsspanne (Healthspan; Masfiah et al. 2025).
Leider klafft aktuell zwischen beiden Zeitspannen eine deutliche Lücke. Bei Frauen in Deutschland sind es fast 13 Jahre und bei Männern über neun Jahre. Die Wissenschaft nennt diese Lücke auch treffend die Life-Healthspan-Gap, die uns unser finales Lebensjahrzehnt ziemlich verhageln kann.
Die gute Nachricht ist jedoch, dass es immer mehr Erkenntnisse aus der Forschung gibt, mit deren Hilfe wir diese Lücke in Zukunft aktiv verkleinern könnten. Und damit sind wir mitten im Thema Longevity (gesundes Altern), das auch als modernes Forschungsgebiet weltweit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Bei Longevity geht es aber nicht wie im Anti-Aging darum, irgendwie ewig zu leben, sondern es geht vielmehr darum, die gesunden Jahre zu verlängern, sodass wir uns auch jenseits der 70 noch beweglich, klar im Kopf und wirklich wohl in unserer Haut fühlen.

Longevity-Forschung

Die moderne Longevity-Forschung behandelt uns daher nicht mehr reduktionistisch und organfokussiert, sondern als ein biologisches Netzwerk aus menschlichen und mikrobiellen Anteilen, das als fantastische Einheit funktioniert. 
Und wenn irgendwo in diesen Netzwerken tief in unserem Organismus etwas aus dem Takt gerät, sei es durch Stress, Schlafmangel oder schlechte Ernährung, dann kann das an ganz anderer Stelle sichtbar werden, zum Beispiel auf der Haut oder bei unseren Haaren. Und diese enge funktionelle Verknüpfung lässt sich Dank neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse sogar gut erklären (Furman et al. 2025).
Die sogenannte Darm-Haut-Achse ist diese faszinierende Verbindung zwischen unserem Magen-Darm-System und unserem äußeren Erscheinungsbild. Unsere Darmflora beeinflusst unter anderem die Produktion von Biotin, Folsäure und anderen Mikronährstoffen, die unserer Haut und den Haaren guttun. Wenn das Mikrobiom gestört ist, etwa durch Antibiotika, Zuckerbomben oder chronischen Stress, zeigen sich die Auswirkungen nicht selten auch auf der Hautoberfläche, nämlich in Form von Entzündungen, Unreinheiten oder vorzeitiger Alterung der Haut (Jimenez-Sanchez et al. 2025).

Aber was passiert eigentlich biologisch, wenn wir altern?

Der Prozess des Alterns können Sie sich vorstellen, wie ein vielstimmiges Orchester, in dem irgendwann der Takt verloren geht. Die Wissenschaft hat inzwischen ein ganzes Dutzend sogenannter Hallmarks of Ageing identifiziert (López-Otin et al. 2013 & 2023).
Das sind solche biologischen Prozesse, die Zellen träge, Gewebe anfällig und sogar die Haut mit zunehmendem Alter empfindlicher machen und wir immer schlechter regenerieren: Mit dem Alter verkürzen sich Telomere, unsere Chromosomen-Schutzkappen, und Zellen beenden ihre Arbeit. Mitochondrien produzieren als Zellkraftwerke mehr schädliche Radikale als Energie, und die epigenetische Gensteuerung wird fehlerhaft. 
Zugleich häufen sich beschädigte Proteine, weil die Autophagie als zellulärer Reinigungsdienst ins Stocken gerät. Zellen teilen sich nicht mehr und schütten als sogenannte Zombiezellen schädliche Stress- und Entzündungssignale aus, weil das altersschwache Immunsystem sie nicht mehr wegräumt. Für Erneuerung zuständige Stammzellen verlieren an Kraft, die fein abgestimmte Zellkommunikation wird chaotisch und fördert stille Entzündungen,  die wie ein Schwelbrand wirken. Und gerät das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht (Dysbiose), leidet nicht nur die Verdauung, sondern auch Immunsystem, Hormone, Haut und Gehirn.
Nach all diesen erschreckenden Erkenntnissen hält die Wissenschaft aber auch gute Nachrichten für uns bereit, denn sie findet immer mehr Möglichkeiten heraus, wie wir diese Prozesse aktiv beeinflussen können.
Und genau hier kommt auch der Lebensstil ins Spiel.

Faktor Ernährung

Denn unsere tägliche Ernährung, unsere Liebe oder Abneigung für Bewegung oder unser Umgang mit Stress bestimmen mit, ob und wie gut wir die geschilderten Alternsprozesse an- oder ausschalten können. Auf diese Weise können wir in Zukunft immer besser selbst bestimmen, unsere Zellen jung zu halten oder vorzeitig altern zu lassen.
Auch wenn die Longevity-Forschung in vielen Bereichen noch in den Kinderschuhen steckt, zeichnen sich doch einige Möglichkeiten ab, wie wir durch den Dreiklang aus Ernährung, Bewegung, Schlaf/Stressmanagement dem Altern ein Schnippchen schlagen könnten. Unsere Ernährung ist nicht nur Kalorienquelle, sondern enthält auch eine ganze Batterie an Longevity-Wirkstoffen (Vinci et al. 2025):
Ballaststoffe aus Vollkorn oder Hülsenfrüchten fördern gesunde Darmbakterien, sekundäre Pflanzenstoffe wirken als Bioaktivstoffe entzündungshemmend und werden dabei gut von Omega-3-Fettsäuren unterstützt, die alle Zellmembranen stärken. 
Intermittierendes Fasten aktiviert sogar den Selbstreinigungsprozess Autophagie. Wer also hin und wieder das Frühstück ausfallen lässt, gönnt Zellen sowie Zellkraftwerken eine echt gesunde Wartungspause.

Faktor Bewegung

 Bewegung ist das zweite starke Bein für einen Longevity-Lebensstil. Denn unsere Muskeln halten nicht nur unsere Figur in Form und Bewegung, sondern sie sind auch echte Hormonproduzenten. 
Beim Training schütten sie die sogenannten Myokine als Signalstoffe aus, die Entzündungen senken, das Gehirn aktivieren und sogar das Immunsystem sowie den Energiestoffwechsel stabilisieren können. 
Und um den Dreiklang komplett zu machen, kommen schließlich Schlaf und gesundes Stressmanagement dazu. Wer nachts nicht schläft, beraubt sich des Wartungsintervalls für Zellreparatur und -regeneration, von denen auch die Mitochondrien profitieren. Und wer chronisch unter Strom steht, schwächt langfristig eine gesunde Stressreaktion und bringt dadurch sein Abwehrsystem, Energiestoffwechsel und die Hormonachsen aus dem Takt. 
Entspannungstechniken, Pausen in der Natur und gesunde soziale Beziehungen lösen die biologische Entspannungsreaktion in all unseren Netzwerken aus und unterstützen dadurch auch gesunde Alterungsprozesse.

Was bedeutet dies alles für Beauty Professionals?

Sie sind heute viel mehr als „nur“ Hautexpertinnen, sondern ganzheitliche Gesundheitscoaches. Denn nur wer versteht, wie Zellen funktionieren, was ein Mikrobiom braucht und warum Falten nicht nur von außen, sondern auch von innen geglättet werden, kann Gesundheitskundinnen ganzheitlich begleiten. Und das mit Wissen, Empathie und einer Portion Spaß und Leichtigkeit.
Und was die Longevity-Forschung auch ganz eindeutig zeigt: Am Ende geht es nicht darum, dem Alter krankhaft und verbissen entkommen zu wollen, sondern ihm mit positiver Haltung zu begegnen. Sozusagen „Longevity mit einem breiten Lächeln, das bis in die Zellen reicht.“

Quellen:
Masfiah S, Kurnialandi A, Meij JJ, Maier AB. Definitions of healthspan: a systematic review. Ageing Res Rev. 2025 Jun 14: Epub ahead of print. 
Furman D, Auwerx J, Bulteau AL, Church G, Couturaud V, Crabbe L, Davies KJA, Decottignies A, Gladyshev VN, Kennedy BK, Neretti N, Nizard C, Pays K, Robinton D, Sebastiano V, Watson REB, Wang MC, Woltjen K. Skin health and biological aging. Nat Aging. 2025 Jun 17. Epub ahead of print. 
Jimenez-Sanchez M, Celiberto LS, Yang H, Sham HP, Vallance BA. The gut-skin axis: a bi-directional, microbiota-driven relationship with therapeutic potential. Gut Microbes. 2025 Dec17. Epub ahead of print.
López-Otín C, Blasco MA, Partridge L, Serrano M, Kroemer G. The hallmarks of aging. Cell. 2013 153(6):1194-217. 
López-Otín C, Blasco MA, Partridge L, Serrano M, Kroemer G. Hallmarks of aging: An expanding universe. Cell. 2023 186(2):243-278. 
Vinci G, Davì F, Pellegrino T, Fusco R, Cordaro M, Di Paola R. Main Dietary Patterns for Healthy Aging and Well-Being. Nutrients. 2025 Jun 16;17(12):
2009. 

Foto: Dr. Stephan Barth

Dr. Stephan Barth

Nach seinem medizinischen Studium mit Promotion und Habilitation hat der Autor fast 30 Jahre lang in der Grundlagen- und klinischen Forschung mit Fokus auf ernährungsbasierte Prävention gearbeitet. Heute ist er als selbstständiger Berater und Gutachter im Gesundheitsökosystem tätig. www.drstephanbarth.com

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