Es gibt Stoffe, bei denen immer wieder Verwirrung hinsichtlich ihrer Bezeichnung und Anwendung im medizinischen oder kosmetischen Kontext besteht. In dieser Serie stellt die promovierte Chemikerin Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu die prominentesten Beispiele vor und klärt auf.
Die industriell am wichtigsten und am häufigsten vorkommenden Polysaccharide sind Cellulose und Stärke. Sie sind Biopolymere, die – weil sie aus Pflanzen gewonnen werden – aus erneuerbaren Quellen stammen und Nachhaltigkeit somit im Namen tragen. Anders als Plastik sind sie komplett biologisch abbaubar. Das trifft auch auf ihre Derivate zu und macht sie damit zu idealen Rohstoffen im Sinne eines C2C-Kreislaufs.
1. Cellulose
Cellulose ist das häufigste Polysaccharid, das als Strukturgeber in Pflanzenzellwänden fungiert.1 Cellulose ist von großer wirtschaftlicher Bedeutung, sowohl als nicht modifizierte aber auch als chemisch modifizierte Cellulose. Die Anwendungen reichen von Baustoff (Holz) über Papier und Zellstoff nach Fasern (Baumwolle, Leinen, Jute) bis zu chemischen, kosmetischen und pharmazeutischen Anwendungen sowie als Nahrungsmittel. Der Weltmarkt beziffert sich auf über 44 Milliarden US-Dollar in 20232 und die Wachstumsvorhersage beträgt stolze 10 Prozent pro Jahr für die kommenden 10 Jahre.
2. Cellulose und ihre Derivate
Native (nicht chemisch modifizierte) Cellulose kann in unterschiedlichen Formen vorliegen. Als Faser findet sie in der Kosmetik in der Regel als Zellstoff Einsatz oder für Gesichtsmasken. Als sogenannte Mikrokristalline und nanokristalline Cellulose liegen sie als feine, gut fließende Pulver vor, die als Trennmittel oder Tablettenträgerstoff in der Pharmazie verwendet werden. Eine besondere Form der Cellulose ist die sogenannte bakterielle Nanocellulose, bei der Cellulose-vliese durch bakterielle Fermentation hergestellt werden. Diese zeichnen sich durch eine große Hydratationswirkung auf der Haut aus und finden sowohl in der Medizin als auch in der Kosmetik Anwendung.3
Cellophan ist eine Cellulosefolie, die relativ aufwendig hergestellt wird, aber durch ihre Dampfdurchlässigeit eine wichtige Rolle in der Verpackung empfindlicher Lebensmittel spielt.4 Chemisch modifiziert kann Cellulose plastifiziert werden und findet als Filmmaterial Verwendung. Am bekanntesten dabei ist die Nitrocelluose, die durch Umsetzung mit Salpetersäure entsteht. Sie bescherte der Film- und Fotoindustrie unter dem Namen Celluloid die ersten Höhenflüge.
Das andere wichtige Filmmaterial ist Celluloseacetat. Es kann zu Fasern versponnen werden und ist als Acetat beziehungsweise Kunstseide bekannt. Als Celluloseacetate Butyrate findet es als Filmbildner Einsatz in Nagellacken.
Am bekanntesten sind Cellulose-Derivate allerdings als „Tapetenkleister“, worunter sich Methylcellulose verbirgt. Sie ist wasserlöslich, bildet Hydrokolloide und besitzt eine gewisse Klebrigkeit. Zudem hat sie emulgierende und stablilisierende Eigenschaften, was sie zu einem wichtigen Rohstoff in der Kosmetik macht, aber auch zur Herstellung veganer Fleischalternativen.
Hydroxypropymethyl Cellulose besitzt ein ähnliches Anwendungsspektrum wie Methylcellulose und wird auch als Überzugsmittel für Tabletten verwendet.
Carboxymethylcellulose wird überwiegend in der Textilindustrie als Appretur verwendet. In der Kosmetik wird sie viel in Mundpflegeprodukten verwendet, zum Beispiel in Haftcremes für dritte Zähne.
3. Stärke
Stärke gehört zu der anderen großen Gruppe pflanzlicher Polysaccharide. Stärke besteht aus zwei Polymeren, und zwar:
1. 20–30 Prozent Amylose, linearen Ketten mit helikaler (Schrauben-)Struktur, die nur α-1,4-glycosidisch verknüpft sind, und
2. 70–80 Prozent Amylopektin, stark verzweigten Strukturen, mit α-1,6-glycosidischen und α-1,4-glycosidischen Verknüpfungen. Das Amylopektin der Stärke ist mit etwa einer α-1,6-glycosidischen Bindung pro etwa 30 α-1,4-glycosidische Verbindungen verzweigt.
Stärke ist eine Speicherform von Glukose, die, weil sie unlöslich ist, nicht osmotisch wirksam ist. Stärke ist das wichtigste Kohlenhydrat in der menschlichen Ernährung. Aber auch in vielen technischen, kosmetischen und medizinischen Bereichen findet Stärke Einsatz. Das spiegelt sich in ihrer enormen Marktbedeutung wider, die 2020 bei fast 100 Milliarden USD lag.5 Stärke und Stärkederivate werden in der Lebensmittelindustrie als Verdickungsmittel, Gelbildner und Stabilisatoren eingesetzt.6
In der Kosmetik werden Stärkederivate wegen ihrer Eigenschaften wie Verdickung, Feuchtigkeitsbindung, Texturverbesserung verwendet. Reine Stärke kann auch als Pudergrundlage und als Talkumersatz verwendet werden. Besonders beliebt sind dabei Reisstärke und Tapiokastärke Auch Maisstärke wird unter der INCI-Bezeichnung Zea Mays Starch überwiegend in Trockenshampoos und mattierenden Produkten verwendet.
Hydroxypropyl Starch verleiht den Produkten eine glatte Textur, verbessert die Stabilität und bietet gute Filmbildungseigenschaften. Zudem wirkt sie feuchtigkeitsbindend und pflegend.
Aluminum Starch Octenylsuccinate dient als Ersatzstoff für Silikonöle und wird deswegen häufig zur Verbesserung der Sensorik von kosmetischen Formulierungen eingesetzt. Aufgrund des Aluminiums steht es aber in der Kritik. Insgesamt wird es aber als unkritisch bewertet.7
Distarch Phosphate und Hydroxypropyl Distarch Phosphate werden häufig zusammen eingesetzt. Sie dienen zur Stabilitäts- als auch Texturverbesserung und machen die Produkte unempfindlicher gegenüber Temperatur- und pH-Schwankungen.
Verstärkter Einsatz erwartet
Cellulose und Stärke sowie ihre Derivate besitzen enorm große Einsatzspektren und werden auch zukünftig stärker verwendet werden. Für die Kosmetik sind sie aufgrund ihrer stabilisierenden Eigenschaften, aber auch wegen ihrer Texturverbesserung sehr verbreitet. Zudem können Hydrogele aus Stärke den Einsatz von synthetischen Carbomeren, die als Mikroplastik bekannt sind, unnötig machen. Die Rohstoffe sind pflanzlich, können aus biologischem Anbau stammen und häufig auch ein Naturkosmetiksiegel erhalten. Alles in allem viele gute Gründe, vermehrt auf solche Inhaltsstoffe zu achten.
Literatur:
1 https://en.wikipedia.org/wiki/Cellulose
2 www.databridgemarketresearch.com/reports/global-cellulose-market
3 https://dejayu.de/bakterielle-nanocellulose-ein-oeko-trend-trifft-die-kosmetik/
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Cellulosehydrat
5 www.grandviewresearch.com/industry-analysis/industrial-starch-market-report
6 https://dejayu.de/staerke-natuerliche-vorteile-fuer-die-kosmetik/
7 www.ewg.org/skindeep/ingredients/
700326-ALUMINUM_STARCH_
OCTENYLSUCCINATE/
Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu
Die Autorin ist unabhängige Beraterin und war als Chemikerin in der kosmetischen Produktentwicklung tätig. www.dejayu.de