Neurosensitive Haut verstehen

22.10.2025
Foto: New Africa/Shutterstock.com

Empfindliche Haut ist ein zunehmend beschriebenes Beschwerdebild im kosmetischen Bereich. Betroffene berichten von Brennen, Jucken, Stechen oder Rötungen, obwohl  objektiv keine klinisch fassbaren Hautveränderungen oder Allergien vorliegen. In der  wissenschaftlichen Literatur wird hier der Begriff „neurosensitive Haut“ verwendet. Wir schauen uns hier die Charakteristika neurosensitiver Haut an, grenzen sie von allergischer Haut ab und bieten einen Überblick über Ursachen und Pflegeansätze. 

Empfindliche, neurosensitive Haut beschreibt eine Überempfindlichkeit gegenüber Umweltreizen, ausgelöst durch neurogene Mechanismen. Neurosensitive Haut ist durch subjektive Missempfindungen wie Brennen, Stechen, Jucken und Spannungsgefühl gekennzeichnet. 
Die Beschwerden treten oft nach Kontakt mit Kosmetika, Wasser, Temperaturveränderungen oder auch emotionalem Stress auf. Diese Symptome treten auf, ohne dass objek-
tive Entzündungszeichen oder eine Allergie nachweisbar sind. Die genauen Mechanismen neurosensitiver Haut sind noch nicht vollständig geklärt. Folgende Faktoren werden diskutiert:

  • Gestörte Hautbarriere: Erhöhter transepidermaler Wasserverlust (TEWL), Eindringen von unerwünschten Stoffen
  • Neurogene Entzündung: Überempfindlichkeit sensorischer Nerven und vermehrte Ausschüttung von Neuropeptiden wie Substanz P
  • Erhöhte Reizwahrnehmung: Zentrale und periphere neuronale Hyperreaktivität
  • Keine immunologische Beteiligung: Im Gegensatz zu allergischen Reaktionen erfolgt keine Antikörperbildung oder T-Zell-vermittelte Immunantwort.
  • Eine neurogene Entzündungsreaktion ohne Beteiligung des Immunsystems ist die Folge dieser Reize. 
    Die Feststellung einer empfindlichen, neurosensitiven Haut erfolgt überwiegend durch Ausschluss anderer Ursachen. Hilfreich sind:
  • Anamnese: Beschwerden, Auslöser, Lokalisation
    Fragebögen: zum Beispiel Sensitive Scale-10 (siehe Seite 103)
    Ausschlussdiagnostik: Allergietests, Ausschluss von Dermatosen
    Erhebung der Hautempfindlichkeit – Sensitive Scale-10
    Zur Erfassung der subjektiven Hautempfindlichkeit wurde die Sensitive Scale-10 (SS-10) entwickelt. Das ist ein standardisierter, validierter Fragebogen von Misery et al. (2014).
    Die Skala umfasst zehn Elemente, mit denen typische Symptome empfindlicher Haut (zum Beispiel Brennen, Stechen, Juckreiz, Rötung) erfasst werden. Die Bewertung erfolgt rückwirkend für die vergangenen drei Tage  auf einer numerischen Skala von 0 (nicht vorhanden) bis 10 (unerträglich). Die Gesamtpunktzahl ergibt sich durch Addition der Einzelwerte (maximal 100 Punkte). Im Rahmen dieser Untersuchung wurde eine deutsche Übersetzung der Skala verwendet. Die Fragen wurden den Teilnehmenden zur Selbstbeantwortung vorgelegt.

Wichtige Neuropeptide und ihre Wirkung

Bei empfindlicher Haut spielen mehrere Neuropeptide eine zentrale Rolle. Diese Signalmoleküle wirken als Botenstoffe des Nervensystems und beeinflussen die Hautbarriere, Immunantworten und Entzündungsprozesse. Bei empfindlicher Haut führen diese Neuropeptide zu: 

  • Schnellerer Reizweiterleitung in den Hautnerven.
  • Überempfindlichkeit auf harmlose Reize (zum Beispiel Temperatur, Pflegeprodukte).
  • Chronische Rötung, Brennen, Stechen oder Juckreiz, oft ohne sichtbare Entzündung.
    Die neurogene Entzündung ist ein Schlüsselmechanismus: Reize aktivieren Nerven, es kommt zur Neuropeptidfreisetzung, die dann Entzündungssymptome zeigt.

Weitere wichtige Faktoren 

Weitere Faktoren, die bei der empfindlichen, neurosensitiven Haut eine Rolle spielen, sind die Hirn-Haut-Achse und die Darm-Haut-Achse. Hier wurde festgestellt, dass die Kommunikation zwischen dem Gehirn, dem Nervensystem, dem Darm, dem Immunsystem und der Haut eine entscheidende Rolle bei neurosensitiver Haut spielt.
 

Die Hirn-Haut-Achse beschreibt die Wechselwirkungen zwischen:

  • zentralem Nervensystem (Gehirn),
  • peripherem Nervensystem (Nerven in der Haut),
  • endokrinem System (zum Beispiel Stresshormone wie Cortisol),
    und der Haut als Zielorgan.

Bei neurosensitiver Haut:

  • Stress, Angst, emotionale Belastungen aktivieren die Freisetzung von Stresshormonen (zum Beispiel Cortisol).
  • Diese Hormone beeinflussen die Immunantwort und Nervenrezeptoren in der Haut, was zu Juckreiz, Brennen oder Rötungen führen kann.
     

Die Darm-Haut-Achse beschreibt die Beziehung zwischen:

  • dem Mikrobiom im Darm (Darmflora),
  • dem Immunsystem (vor allem im Darm lokalisiert),
  • und der Hautgesundheit.
     

Bei neurosensitiver Haut:

  • Ein Ungleichgewicht im Darmmikrobiom kann zu einer systemischen Entzündung führen, die auch die Haut betrifft.
  • Ein „leaky gut“ (durchlässiger Darm) kann Entzündungsbotenstoffe ins Blut freisetzen, die die Hautbarriere schwächen und die Empfindlichkeit der Haut erhöhen.
  • Neurotransmitter, die im Darm gebildet werden, beeinflussen Hautnerven und das Schmerzempfinden.

Die Hirn-Haut-Achse und die Darm-Haut-Achse zeigen, dass neurosensitive Haut kein rein „kosmetisches“ Problem ist, sondern durch komplexe neuroimmunologische Prozesse beeinflusst wird. Behandlungen, die Stress, Ernährung, Darmgesundheit und Hautpflege gemeinsam berücksichtigen, können besonders wirksam sein.

Was kann die KosmetikerIn tun?

Effektive Pflegekonzepte berücksichtigen die Wechselbeziehung  zwischen Haut, Nerven-, Immun- und Hormonsystem durch:

  • Wirkstoffe zur Balance neurogener Prozesse, zum Beispiel Wildem Indigo, Kürbiskern, Kapernextrakt, Kudzu-Extrakt und VEGF stop
  • Einsatz von antiinflammatorischen Wirkstoffen, zum Beispiel Boswellia (Weihrauch), Mikrosilber, und Zink
  • Stabilisierung der Hautbarriere, zum Beispiel durch Derma Membrane System (DMS), Ceramide, Cholesterol und Triglyceride
  • Regulation des pH-Werts der Haut
  • Verzicht auf Farb- und Duftstoffe

Dies sollte sowohl bei der Kabinenbehandlung als auch bei der Heimpflege berücksichtigt werden. Wichtig ist eine bedarfs- und stadiengerechte Pflege mit der Unterscheidung zwischen: 

  • Akutem Stadium: Haut ist in Unruhe oder entzündet
  • Stabilem Stadium: Haut ist stabil und ruhig

Kosmetikerinnen sollte sich bei ihrem Depotpartner informieren, welche Produkte zur Behandlung der neurosensitiven Haut zur Verfügung stehen. 
Tipp: Fragen Sie gezielt nach Produkten und Behandlungen zum Einsatz bei empfindlicher, neurosensitiver Haut. 


Quellen: 
Berardesca E, et al. Sensitive skin: An overview. Int J Cosmet Sci. 2013; 35 (1): 2–8.
De Pessemier B et al. Gut–skin axis: current knowledge of the interrelationship between microbial dysbiosis and skin conditions. Microorganisms. 2021; 9 (2): 353. DOI: 10.3390/microorganisms9020353
Draelos ZD. Sensitive skin: Perceptions, evaluation, and treatment. Am J Clin Dermatol. 2013; 14 (6): 449–454.
Experimental Dermatology, 12 (6), 103–109 belegt den Einsatz von Capsaicin zur Hemmung von Neuropeptid-vermittelten Beschwerden.
Lübbe, J. (2000). The sensitive skin syndrome. European Journal of Dermatology, 10 (8), 565–569. Einführung in die Pathophysiologie empfindlicher Haut, einschließlich neurogener Aspekte.
Misery, L. (2011). Sensitive skin and neurosensory disturbances. Clinics in Dermatology, 29 (3), 296–300. Zusammenhang zwischen empfindlicher Haut und neurosensorischen Reaktionen.
O’Neill CA et al. The gut-skin axis in health and disease: A paradigm with therapeutic implications. BioEssays. 2016; 38 (11): 1167–1176. DOI: 10.1002/bies.201600008
Paus, R., et al. (2006). Neuroimmunoendocrine circuitry of the ‘brain–skin connection’. Trends in Immunology, 27 (1), 32–39. Erklärung der Kommunikation zwischen Nerven, Haut und Immunzellen.
Rukwied, R., et al. (2000). Sensory and vasomotor responses of human skin to substance P and calcitonin gene-related peptide. Journal of Investigative Dermatology, 115 (6), 1015–1020. Detaillierte Analyse der Effekte von SP und CGRP auf menschliche Haut.
Salem I et al. The gut microbiome as a major regulator of the gut–skin axis. Frontiers in Microbiology. 2018; 9: 1459. DOI: 10.3389/fmicb.2018.01459

SCCS – Scientific Committee on Consumer Safety. Opinion on the safety of cosmetic ingredients for sensitive and allergic skin. European Commission, 2016. Ständer, S., et al. (2003).Topical capsaicin for the treatment of chronic pruritus: A tool to understand the underlying pathophysiology.
Steinhoff, M., et al. (2006). Neurophysiological, neuroimmunological, and neuroendocrine basis of pruritus. Journal of Investigative Dermatology, 126( 8), 1705–1718. Umfassender Überblick zu Neuropeptiden wie Substanz P und CGRP in der Haut.
Voegeli R. The effect of barrier function and skin sensitivity in different ethnic groups. Int J Cosmet Sci. 2016; 38 (1): 9–15.
 

Foto: Rose Steffen

Rose Steffen
Die Autorin ist Kosmetikerin und Heilpraktikerin. Zudem ist sie Education Manager bei der Baga Bildungsakademie für Gesundheit und Aesthetik.

Foto: BEAUTY FORUM

Dieser Artikel stammt aus dem Fachmagazin BEAUTY FORUM

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