
Die Kosmetikindustrie verändert sich. Ein Wandel, der weit über neue Produktformeln hinausgeht. Heute stehen Fragen der Inklusion, Individualität und Geschlechtsidentität im Mittelpunkt. Wir schauen genauer hin.
In der Kosmetikindustrie rückt eine wichtige Frage in den Fokus: Ist Schönheit wirklich von geschlechtlichen Normen geprägt? Und wenn nicht, was definiert sie dann? Gibt es überhaupt noch ein gängiges Ideal, das es anzustreben wert ist? Und falls nicht, wie wirkt sich das auf die Produktgestaltung und das Marketing aus? Fragen über Fragen, doch eins ist klar: Genderneutrale Kosmetik gewinnt zunehmend an Relevanz und Sichtbarkeit.
Unisex-Kosmetik
Was in den 1990er-Jahren mit sogenannten „Unisex“-Produkten begann, entwickelt sich zu einem neuen inklusiveren Verständnis von Pflege, Ausdruck und Identität. Der Begriff „Unisex“ wurde ursprünglich in der Mode etabliert und später von der Kosmetik übernommen. Pflegeprodukte, Düfte oder Make-up, die für Mann und Frau gedacht waren, galten als fortschrittlich, doch meist orientierten sie sich dennoch an klassischen Geschlechterbildern.
Oft bedeutete „Unisex“ schlicht: ein Kompromiss zwischen femininen (sanft, lieblich) und maskulinen (stark, klar) Elementen. 2025 zeigt sich: So einfach ist es nicht. Echte Inklusion verlangt mehr Unisex. Menschen wollen nicht zwischen zwei Polen wählen, sondern sich frei und ganz und gar individuell entfalten.
Unisex ist nicht gleich genderneutral
Der Unterschied zwischen „Unisex“ und „genderneutral“ ist entscheidend – auch für die professionelle Kosmetikanwendung. Während Unisex häufig bedeutet, dass ein Produkt für Männer und Frauen gleichermaßen geeignet ist, geht genderneutrale Kosmetik einen Schritt weiter: Sie verzichtet vollständig auf geschlechtliche Zuschreibungen – zum Beispiel auch die Farbe Rosa im Verpackungsdesign für feminine Produkte; und auf die Farbe Blau für die Optik der Herrenprodukte. Weder Verpackung, Sprache noch Anwendung nehmen Bezug auf das Geschlecht der anwendenden Person. Der Fokus liegt allein auf den Bedürfnissen der Haut, dem Duftempfinden oder dem gewünschten Pflegeeffekt. Dieses Bewusstsein spiegelt eine gesellschaftliche Veränderung wider: weg von Schubladen und Klischees hin zu Individualität und Vielfalt.
Make-up und Pflege jenseits binärer Kategorien
Besonders deutlich sind dieses Umdenken und „Umempfinden“ im wachsenden Markt für Make-up und Pflegeprodukte, die unabhängig vom Geschlecht verwendet werden.
Immer mehr Menschen, ob Frau, Mann oder divers, nutzen Kosmetik, um sich auszudrücken, sich zu pflegen oder auch Unsicherheiten zu kaschieren. Dabei geht es längst nicht mehr um die Frage, ob „Make-up für Männer“ gesellschaftlich akzeptiert ist, sondern um das Recht auf Selbstbestimmung, Ästhetik und Ausdruck. Das lässt sich auch statistisch belegen: Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2023 (Mintel, USA) ergab, dass 18 Prozent der Männer zwischen 18 und 34 Jahren regelmäßig Make-up-Produkte verwenden – vor allem, um Hautunreinheiten abzudecken, Augenringe zu kaschieren oder den Teint auszugleichen.
In Asien sind es sogar noch mehr: In Südkorea beispielsweise gehört das tägliche Make-up für Männer in vielen urbanen Regionen längst zur Normalität. Auch eine deutsche Umfrage aus dem Jahr 2024 zeigt, dass über 40 Prozent der befragten Männer offen dafür wären, leichte Make-up-Produkte wie getönte Feuchtigkeitscremes, Concealer oder Augenbrauengel zu nutzen – vorausgesetzt, sie werden nicht als „feminin“ vermarktet, sondern als pflegeorientiert, diskret und alltagstauglich.
Genderneutralität im Kosmetikstudio
Diese neuen Impulse bieten für Kosmetikerinnen große Chancen. Wer Behandlungen wie natürliches Haut-Make-up, pflegendes Augenbrauen-Styling, hautschonende Rasur und Teintoptimierung mit dezentem Finish explizit für männliche oder nicht binäre Kunden anbietet, spricht eine neue wachsende Zielgruppe an. Studios, die sich offen, sensibel und inklusiv aufstellen, schaffen ein Umfeld, das alle Menschen willkommen heißt. Besonders in einem persönlichen Beruf wie der Kosmetik, in dem Nähe, Vertrauen und Wohlbefinden eine zentrale Rolle spielen, kann dies den Unterschied machen.
- Sprache und Kommunikation: Geschlechtsneutrale Begrüßungen („Liebe Kundinnen“ – „Herzlich willkommen“) setzen ein erstes sichtbares Zeichen. In Beratungsgesprächen sollten offene Fragen statt geschlechtlicher Annahmen gestellt werden („Wie fühlt sich Ihre Haut nach der Rasur an?“ statt „Welche Männerpflege benutzen Sie?“). Auch auf der Website und Social Media empfiehlt sich eine inklusive, neutrale Sprache – ohne stereotype Bilder oder Farbcodes.
- Angebot und Beratung: Behandlungen sollten nicht nach Geschlecht, sondern nach Hauttyp, Hautbedürfnissen und kosmetischen Zielen strukturiert sein. Produkte, die keine geschlechterspezifische Aufmachung haben, wirken einladend für alle. Auch Packages (zum Beispiel „Teint auffrischen“, „Glow-Treatment“, „Unreine Haut beruhigen“) können geschlechtsneutral formuliert werden.
- Raumgestaltung: Ein neutral gestalteter Behandlungsraum mit klarer, ruhiger Farbgebung vermeidet stereotype Assoziationen. Auch Toiletten oder Umkleidebereiche können inklusiver gestaltet werden – etwa durch entsprechende Beschilderung oder individuelle Nutzungsmöglichkeit.
- Weiterbildung und Sensibilisierung: Kosmetikerinnen und Studioinhaberinnen profitieren von Fortbildungen zu Themen wie gendergerechte Sprache, queere Sichtbarkeit und Diversität im Kundenkontakt. Das stärkt nicht nur die Fachkompetenz, sondern auch die eigene Haltung – und sorgt für ein respektvolles Miteinander.
Ist Inklusion die Zukunft der Kosmetikbranche?
Die LGBTQIA+-Bewegung ist dynamisch – und wächst weiter. Schon jetzt zeigt sich, dass besonders junge Generationen (Gen Z und Alpha) mit einem viel offeneren Verständnis von Geschlecht, Sexualität und Körperlichkeit aufwachsen.
Studien aus den USA und Europa belegen, dass ein wachsender Anteil junger Menschen sich nicht mehr eindeutig mit dem binären Geschlechtersystem identifiziert oder sich bewusst queer positioniert.
Zugleich steigt die gesellschaftliche Sensibilität für Themen wie Nicht-Binarität, Transidentität und Intersexualität – und mit ihr die Erwartungshaltung an Unternehmen und Dienstleistern, diese Vielfalt zu respektieren, sichtbar zu machen und zu unterstützen. Es ist zu erwarten, dass genderneutrale Bezeichnungen künftig zum Standard werden – auch im Produktdesign, in der Studioansprache und im Marketing.
Ebenso werden Behandlungen und Pflegeangebote stärker auf Selbstausdruck statt Normen ausgerichtet – zum Beispiel durch individuelle Make-up-Beratung jenseits geschlechtlicher Vorgaben.
Fazit
Für Kosmetikerinnen bedeutet das: weg von binären Denkmustern und hin zu echten Lösungen, die sich an den Bedürfnissen und Wünschen des Einzelnen orientieren – ganz gleich, welches Geschlecht, welche Sexualität oder welche Ausdrucksform ein Mensch wählt.
Kosmetikstudioinhaberinnen tun gut daran, ihr Beauty-Institut zu einem sicheren Raum (Safe Space) zu machen. Einem Ort, an denen jede Person gesehen wird und willkommen ist.

Lea Becker
Die freie Journalistin recherchiert in den Bereichen Lifestyle, Mode und Beauty für Fachzeitschriften, Print- und Onlinemagazine und Blogs. Ihr Schwerpunkt sind die Themen Hautpflege und dekorative Kosmetik.

Dieser Artikel stammt aus dem Fachmagazin BEAUTY FORUM
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