Mikroorganismen – im und um den Körper

15.09.2017
Foto: Kateryna Kon/Shutterstock.com

Mikroorganismen gehören zu den Urformen des Lebens. Wir finden unsere Vorfahren überall. Ihre Biomasse ist größer als die der Pflanzen und Tiere zusammen. Und der Mensch beherbergt mehr Mikroorganismen als eigene Zellen auf und im Körper – eine Wohngemeinschaft, in der alles gut funktionieren kann, aber ernste Konflikte nicht ausbleiben.

Das körperliche Netzwerk mikrobieller Spezialisten bezeichnet man auch als Mikrobiom. Ihre Vertreter leben höchst unterschiedlich und erbringen vielfältige und nützliche Stoffwechselleistungen. Mikrobielle Stammplätze sind die Epithelien (Deck- und Abschlussgewebe) der Mundhöhle, des Magen-Darm-Traktes, von Uterus, Zervix und Vagina, der Atemorgane und der Haut – also überall dort, wo der Mensch Stoffe aus seiner Umwelt aufnimmt, Abfallstoffe an die Außenwelt abgibt oder sich gegen die Umwelt schützt.

Geben und Nehmen

Wie im Makrokosmos gibt es an den Schnittstellen des Mikrokosmos Wegelagerer, Opportunisten, Profiteure und Kollaborateure. Im Laufe der Jahrmillionen hat man sich aber so aneinander gewöhnt, dass die Synergien überwiegen, durch kulturelle Einflüsse aber auch Disharmonien entstehen können, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Selbst die Wegelagerer, die sich nach der Geburt auf der Haut ansiedeln, leisten durch ihre Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zum Hautschutz und zum Immunsystem. Die Verstoffwechselung von Fettstoffen und die damit verbundene Freisetzung von Säuren bedingen den niedrigen pH-Wert von 4,5–5,5 auf der Haut. Auf diese Weise stabilisiert sich auf der Haut eine spezifische Population, die einerseits dafür sorgt, dass fremde Keime in Schach gehalten werden, und andererseits das endogene Immunsystem ständig trainiert wird, indem es unter anderem antimikrobielle Peptide (AMP) erzeugt.&nb

Auslöser von Infektionen

Beide Vorgänge werden empfindlich gestört, wenn der Wirt sprich Mensch auf porentiefe Reinigung und sterile Hautverhältnisse bedacht ist. Geschädigte Hautbarriere und gestörter Haushalt der AMPs erleichtern das Eindringen pathogener Keime in die Haut und damit verbundene Infektionen.

Aus diesem Grund beobachtet man bei Land- gegenüber Stadtbevölkerungen eine statistisch höhere Empfindlichkeit gegenüber Barrierestörungen und Infektionen. Die trockene Haut ist das erste Zeichen für eine gestörte Barriere. Umgekehrt führt oberflächlich feuchte Haut wie etwa beim Schwimmbadbesuch über längere Zeit zu Störungen der lokalen Flora sowie zu Quellungen und erhöhter Durchlässigkeit der Haut. Damit erhalten Opportunisten wie die Fußpilze die Gelegenheit, die Barriere zu durchdringen und ihr zerstörerisches Werk zu beginnen.

Auch schweißnasse, durch Ausrasieren begünstigte Haut-auf-Haut-Kontakte unter den Achseln oder die Schweißbildung bei geschlossenen Schuhen oder Stiefeln fördern die schnelle Vermehrung von Bakterien – erkennbar an ihren flüchtigen, geruchsintensiven Stoffwechselprodukten wie Isovaleriansäure und schwefelhaltigen Verbindungen.

Auslöser für Entzündungen

Gut gemeinte fettreiche Pflege kann bei ungünstiger Hautkonstitution die Flora so beeinflussen, dass anaerob lebende Keime wie Propionibacterium acnes und Staphylococcus epidermidis nahezu ideale Lebensbedingungen erhalten und Entzündungen auslösen. Dies ist der Fall bei einer Neigung zu perioraler Dermatitis, Rosacea und jugendlicher Akne. Bei letzterer kommt allein schon die überhöhte Talgdrüsenaktivität als Ursache in Frage.

Stabile Flora im Intimbereich

Mikroorganismen fühlen sich im feuchtwarmen Milieu der Körperöffnungen besonders wohl. Daher ist es für Vagina und Vulva wichtig, dass auch die lokale Flora nicht durch falsch verstandene Hygiene destabilisiert wird. Der pH-Wert des vaginalen Sekrets beträgt etwa 4 und wird durch Milchsäurebakterien erzeugt. Sie bilden Milch- und Essigsäure, die durch den Abbau von Maltose und Dextrose entstehen. Diese Monosaccharide resultieren wiederum aus der Spaltung von Polysacchariden wie Glykogen.

Darüber hinaus produzieren die Talgdrüsen der Vulva, die Bartholinischen, Skene- und Schweißdrüsen Sekrete, die in Verbindung mit der lokalen Flora ein saures Milieu bilden, das nicht an diese Umgebung adaptierte Keime in ihrem Wachstum hemmt und gegen opportunistische, fakultativ pathogene Pilze wie Candida albicans schützt. Der schwach basische Schleim der Zervixdrüsen – bestehend aus Polysacchariden, Salzen, Enzymen und Zellresten – verhindert wiederum das Vordringen von Keimen in die Gebärmutter.

Ausstellung

Noch bis 28. Februar 2018 läuft in Kiel die Ausstellung „Mikrobiom – Der Mensch ist nicht allein.“. Der Exzellenzcluster Entzündungsforschung und die Muthesius Kunsthochschule zeigen Wissenschaft und Forschung übersetzt in Kunst und Kommunikation. Infos unter www.med-hist-uni-kiel.de

Magen-Darm-Trakt profitiert

Die Bewohner des Magen-Darm-Traktes profitieren vom reichlichen Nahrungsangebot und zerlegen in Kooperation mit den Verdauungssekreten die unterschiedlichen Stoffgruppen in kleinere, für die Mikroorganismen selbst verwertbare und vom Körper resorbierbare Bestandteile. Sie sind hinsichtlich ihrer Enzymausstattung hoch spezialisiert. Dabei entstehen nicht nur Abbauprodukte, sondern auch neue Stoffe, die wie das ­Vitamin K zum Teil essenziell für den Menschen sind.

Vitamin B12 entsteht bei der Verdauung von pflanzlicher Nahrung, u. a. auch im menschlichen Dickdarm, von wo es allerdings nur unzureichend resorbiert wird. Das komplizierte Gleichgewicht unter den Mikroorganismen wird naturgemäß durch virale Störungen, Arzneimittel, Einseitigkeit bei der Nahrungsaufnahme, durch Verknappung und kontraproduktive Stoffe beeinflusst.

Nahrungsmittelintoleranzen bis hin zu Veränderungen der Haut sind nicht selten ein Zeichen für die Störung des Gleichgewichtes und lassen sich zuweilen längerfristig durch Absetzen von Arzneimitteln, Änderung der Essgewohnheiten oder durch probiotische Nahrungsergänzungsmittel beheben. Die reibungslose Umstellung der Verdauungsprozesse auf externe Nahrung ist nach der Geburt ein wesentlicher Faktor beim Aufbau des individuellen Immunsystems.

Der intensive Stoffwechsel des Magen-Darm-Traktes beinhaltet auch die Detoxifizierung von Fremdstoffen (Xenobiotika) und umgekehrt deren Umwandlung in schädliche Stoffe. Ein wichtiges Merkmal der komplexen Darmflora ist die weitgehende Kontrolle und Eliminierung pathogener Mikroorganismen – eine Voraussetzung für die körperliche Gesundheit.

Und nicht zu vergessen: Nahrung bestimmt unser Äußeres. Darauf sind neuerdings auch Nahrungsergänzungsmittel für die Haut in Form von Kollagenen abgestellt, die im Darm zu aufnahmefähigen Aminosäuren abgebaut werden. Selbst Faltenreduzierung ist möglich – nicht verwunderlich, denn ein inzwischen hoher Prozentsatz der deutschen Bevölkerung isst weder Fleisch noch Wur

Mundhöhle und Nasengänge

Unangenehme Geruchsstoffe, wie z.B. Indole, Schwefelwasserstoff und die verwandten Mercaptane, die im Darm gebildet werden, kommen in Spuren auch im Mundgeruch vor. Mundtrockenheit, Nahrungsrückstände zwischen den Zähnen oder Zungenbeläge begünstigen die Ansiedlung von Bakterien in der Mundhöhle. Auch die Nasengänge können betroffen sein („Stinknase").

Auf einen Blick

  • Mehr Mikroorganismen als eigene Zellen beherbergt der Mensch auf und im Körper.
  • Als Mikrobiom bezeichnet man das körperliche Netzwerk mikrobieller Spezialisten.
  • Ihre Vertreter findet man überall dort, wo der Mensch Stoffe aus seiner Umwelt aufnimmt, Abfallstoffe an die Außenwelt abgibt oder sich gegen die Umwelt schützt.
  • Geschädigte Hautbarriere und gestörter Haushalt der AMPs erleichtern das Eindringen pathogener Keime in die Haut und damit verbundene Infektionen.
  • Für die Behandlungsräume der dermatologischen Praxen und Kosmetikinstitute gibt es Hygienepläne.
  • Allergien sind bei empfindlicher Haut unvermeidlich. Deshalb empfiehlt sich, Präparate ohne Konservierungsstoffe der KVO zu verwenden oder auf wasserfreie Produkte auszuweichen.

Kurz nachgefragt

medBF: Welche Pflege sollte die Kosmetikerin ihrer Kundin empfehlen, um die Hautbarriere zu erhalten?

Dr. Hans Lautenschläger: „Never change a running system“ gilt auch in der Hautpflege, d. h. Ziel muss die weitgehende Erhaltung der natürlichen Verhältnisse der Haut sein – inklusive der Mikroflora. Dieser Vorgabe sollten die Zusammensetzungen der Präparate entsprechen. Sie können z. B. Barrierestoffe wie Phytosterine (statt dem epidermalen Cholesterin), Ceramide und langkettige Fettsäuren, Sebum-ähnliche Lipide wie Squalan und Triglyceride sowie feuchtigkeitsbindende Komponenten wie Aminosäuren, Harnstoff und Glycerin enthalten. Alle weiteren Inhaltsstoffe sollten physiologisch verträglich und hinsichtlich ihrer Dosierung an die Haut angepasst sein.

Woran erkennt die Kosmetikerin, dass die Hautbarriere gestört ist? Welche Hautzustände zählen dazu?

Der einfachste Fall einer Störung der Hautbarriere ist die trockene Haut, die sich oberflächlich durch eine mehr oder weniger ausgeprägte Rauig- und Schuppigkeit sowie Empfindlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen auszeichnet. Messtechnisch wird man feststellen, dass die Hautfeuchte niedrig, der transepidermale Wasserverlust (TEWL) erhöht ist und ein Mangel an oberflächlichen Hautlipiden (Sebum) besteht. Darüber hinaus führen die atopische Haut und diverse Verhornungsanomalien zu Störungen der Hautbarriere.

Zählen Hautreinigung, -peeling und -konditionierung nicht eher zu den kontraproduktiven Maßnahmen?

Im Prinzip ja, andererseits hat die Hygiene eine große Bedeutung. Hinsichtlich einer optimalen Hautkondition wird man sich daher immer auf einer Gratwanderung befinden – insbesondere wenn man an die Hautreinigung denkt. Auf jeden Fall gilt es, Übertreibungen wie die tägliche porentiefe Reinigung und Überpflegungen zu vermeiden. Peelings haben ihre Berechtigung, aber nicht, wenn sie über lange Zeiträume in kurzen Abständen erfolgen.

Auf welche Stoffgruppen/Inhaltsstoffe sollte in diesem Fall bei der Pflege verzichtet werden?

Hier ist vor allem an Hilfsstoffe zu denken, die nicht der Haut, sondern anderen Zwecken wie einer langen Lagerung dienen. Zu ihnen gehören z. B. Emulgatoren, die in der Epidermis nicht abgebaut werden und dadurch hohe Auswascheffekte erzeugen. Eine weitere Gruppe sind Stoffe, die mehr oder weniger die Haut versiegeln, den natürlichen Austausch verhindern und gegebenenfalls Quellungen erzeugen. Generell ist auf Stoffe mit bekanntem Sensibilisierungs- und Irritations-Potenzial zu achten – Beispiele sind unter anderem Duftstoffe und die Konservierungsstoffe des Anhangs der KVO.

Dr. Hans Lautenschläger | Chemiker,
 geschäftsführender Gesellschafter
 Koko Kosmetikvertrieb GmbH & Co. KG
 Leichingen, www.dermaviduals.de
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