Umstritten: Vitamin-D-Versorgung

17.08.2018
Foto: Johan Larson/shutterstok.com

Die einen fordern, die Versorgung deutlich zu verbessern, weil das „Sonnenvitamin“ vor Herzkrankheiten, Krebs, Depressionen, grippalen

Infekten und Autoimmunerkrankungen schützen soll. Die andere Seite hält da gegen, dass sich ein Schutz für die viel zitierten Krankheiten aufgrund höherer Vitamin-D-Spiegel im Blut mangels aussagekräftiger klinischer Studien nicht belegen lasse. Bereits Anfang 2012 hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die Konsequenz aus dieser Diskussion gezogen und den Referenzwert für die tägliche Zufuhr von Vitamin D auf 800 Internationale Einheiten erhöht. Dennoch ist sich die Wissenschaft in Sachen Ziel- und Referenzwerte nach wie vor nicht einig.

Selbstläufer bei Sonne

Genau genommen ist das Vitamin D gar kein richtiges Vitamin. Im Gegensatz zu allen anderen Vitaminen kann der Körper es selbst herstellen. Der eigentliche biologische Wirkstoff, das Calcitriol, ist von seiner Stoffwechselfunktion her eigentlich ein Hormon. Um es im Körper zu aktivieren, ist allerdings ein Hilfsmittel von außen nötig: die Sonne. Ohne ihre ultravioletten Strahlen kann das vom Körper produzierte Provitamin D3 (Cholecalciferol), das in der Haut abgelagert wird, nicht vin die aktive Form umgewandelt werden. Die Leber stellt Cholecalciferol aus Cholesterin her. Von dort gelangt es über das Blut in die Haut, wo es auf die Umwandlung durch Bestrahlung wartet. „Je nach Hauttyp, Witterung und Jahreszeit reicht es, 5 bis 25 Minuten um die Mittagszeit mit Gesicht, Händen und Teilen von Armen und Beinen in der Sonne zu sein.

Dabei sollte man einen Sonnenbrand vermeiden. Wer seine Vitamin-D-Speicher zum Ende des Sommers aufgefüllt hat, der kommt übrigens gut damit durch den Winter“, erklärt Angela Bechthold vom Referat Wissenschaft der DGE. Unter optimalen Bedingungen und Ganzkörperbestrahlung kann die Haut eines jungen Erwachsenen innerhalb von 15 bis 30 Minuten 10 000 bis 20 000 IE Vitamin D3 durch die Sonne bilden. Solange also genug Sonne da ist, ist Vitamin D ein Selbstläufer, mit dem sich der Körper ohne Zufuhr über Lebensmittel selbst versor

„Kurz, aber knackig“

Wichtig ist allerdings: Längeres Sonnen bringt keinen zusätzlichen Nutzen! Zu bedenken ist: Sun-Blocker bzw. Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor (LSF) sind für die Vitamin-D-Produktion kontraproduktiv, da der Körper sie ab einem LSF über 14 einstellt. Muss man sich also zwischen Vitamin-D-Produktion und Hautkrebsrisiko entscheiden? Nein, denn um ausreichend Vitamin D zu synthetisieren, braucht die Haut nur die Hälfte der sogenannten minimalen Erythemdosis. Das optimale Sonnenbaden zur VitaminD-Bildung sollte also „kurz, aber knackig“ sein, empfiehlt der Vitamin-D-Experte Dr. Nicolai Worm. An klaren Wintertagen nützt das Sonnen in unseren Breiten allerdings wenig, da die Sonnenstrahlen zu schwach sind, um den Umwandlungsprozess auszulösen – auch Solarienbesuche bringen wenig, weil die Lampen meist nur mit UVA-Licht arbeiten und das entscheidende UVB-Licht fehlt. Stärkt die Knochen Wozu braucht der Mensch überhaupt das Vitamin? Kalzium und Phosphat sind die Grundbaustoffe für Skelett und Knochen. Doch auch die beste Versorgung mit den beiden Mineralstoffen fördert erst dann ein gesundes Knochenwachstum, wenn genügend Vitamin D vorhanden ist. Denn dies fördert die Aufnahme von Kalzium und Phosphat aus dem Darm und steuert den Einbau in den Knochen (Minerali sation). Überdies sorgt es auch dafür, dass die beiden Mineralstoffe aus dem Knochen wieder freigesetzt werden und die Niere nicht mehr Kalzium ausscheidet als nötig.

Daneben wirkt das Vitamin D synergistisch mit Vitamin A und anderen Hor monen bei der Regulation der Gen expression spezifischer Proteine sowie der Zellproliferation und -reifung. So beeinflusst es auch die Zell teilung, was seine Rolle bei der Entstehung von Krebs bzw. seiner Verhinderung erklärt. Eine wissenschaftliche Studie ergab, dass 70 Prozent der Probandinnen nach Brustkrebsoperationen und Behandlung mit Vitamin D langfristig gesund blieben. In der Gruppe der nicht mit Vitamin D behandelten Frauen erlitten 60 Prozent einen Rückfall. Aber auch die Schuppenflechte lässt sich in vielen Fällen durch die innere oder äußere Behandlung mit Vitamin-D-Tabletten oder -Cremes mildern – heilend wirken sie allerdings grundsätzlich nicht.

Schutz vor Diabetes?

Während nach Ansicht vieler wissenschaftlicher und medizinischer Fach gesellschaften keine Evidenz für eine Risikoreduzierung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes durch Vitamin D vorliegt, wird seine Rolle bei der Prä vention von Diabetes nach Ansicht von Dr. Nicolai Worm, einem Befürworter höherer Zufuhrempfehlungen, dramatisch unterschätzt. Zwar fehlten bis dato randomisierte kontrollierte Studien, trotzdem findet er viele gute Gründe für seine Theorie:

„Vitamin D wirkt wie ein Zentralschalter, um zahlreiche Körperfunktionen zu steuern.“ Es trage in mehr als 30 Organen und Geweben dazu bei, etwa 300 verschiedene Gene zu aktivieren. Darunter befinden sich auch Gene, die für die Anlage von Insulinrezeptoren an den Zelloberflächen sorgen und damit die Insulinwirkung beziehungsweise -sensitivität fördern. Zudem aktiviere Vitamin D in Betazellen der Bauchspeicheldrüse Gene, die für die Insulinsynthese notwendig sind. Worm verweist auf die Ergebnisse einer amerikanische Studie, nach der eine tägliche Vitamin-D-Zufuhr von mehr als 500 IE im Vergleich zu einer von weniger als 200 IE das Risiko für Typ-2-Diabetes um 13 Prozent senkt. Ferner fanden die Forscher, dass bei einem Vitamin-D-Status von mehr als 25 ng/ml das Risiko für Typ-2Diabetes um 43 Prozent niedriger ist als bei einem Status von weniger als 14 ng/ml. Letzteres ist übrigens ein typischer deutscher Winterwert. Außerdem könnte der Vitamin-D-Status ebenso auch mit dem Auftreten von Typ-1-Diabetes etwas zu tun haben. Epidemiologische Untersuchungen zeigen eine auffällige Häufung dieser Autoimmunerkrankung, je weiter man sich vom Äquator nach Norden oder Süden bewegt.

Wichtige Vitamin-D-Quellen

Bevor es Vitamin-D-Tabletten gab, wurden Generationen von Kleinkindern mit Lebertran gequält – Lebertran war eines der wenigen Vitamin-D-reichen Lebensmittel. Ansonsten kommt das Hormon in nennenswerter Konzentration nur in wenigen Lebensmitteln vor – vor allem in fettreichen Seefischen (besonders in Lachs, Aal, Hering, Sardine, Thunfisch und Heilbutt). Außer den Meeresfischen bietet die Nahrung kaum nennenswerte Vitamin-D-Quellen – Pilze, Hühnereigelb und Butter sind die wichtigsten. Um die empfohlene Menge von 800 IE (= 20 µg) zu erreichen, müsste man täglich 400 g Makrele essen. Alternativ wären 4 kg Schweineschnitzel, 16 bis 20 Eier, 20 Liter Vollmilch, 10 kg Kalbsleber, 10 kg Brie (mit 45 % Fettanteil), 600 g Avo cado oder 1 kg Shiitake-Pilze nötig. Mit anderen Worten: Die Versorgung über Lebensmittel ist kaum möglich.

Echter Mangel: Rachitis

In der aktuellen Diskussion geht es nicht um einen echten Mangel, der zu Rachitis führt, sondern um eine Unterversorgung, bei der der Blutspiegel nicht die wünschenswerte Konzentration von 50 Nanomol pro Liter erreicht. Eine solche suboptimale Versorgung führt allerdings bei Weitem nicht dazu, dass Mangelerscheinungen wie Knochenerweichung oder Knochenverformung auftreten. „Bei der Mehrheit der Bevölkerung liegt kein Vitamin-D-Mangel vor. Jedoch erreichen fast 60 Prozent der Bundesbürger die wünschenswerte Blutkonzentration von 50 Nanomol pro Liter nicht. Das heißt, dass ein großer Anteil der Bevölkerung das präventive Potenzial von Vitamin D für die Knochengesundheit nicht ausnutzt und somit nicht ausreichend versorgt ist“, stellt die DGE fest. Gefahr ist nach Ansicht der DGE erst im Verzug, wenn die Konzentration im Blut unter 20 Nanomol/l sinkt.

Damit dieser Grenzwert im Blut sicher erreicht wird, empfiehlt sie als neuen Referenzwert für die Vitamin-D-Zufuhr unter der Annahme einer fehlenden körpereigenen Bildung die besagt 20 µg (= 800 IE) Vitamin D pro Tag. Leider liegen bei der Vitamin-D-Ver sorgung Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. So zeigen Studien, dass Jugendliche und Erwachsene über die Ernährung üblicherweise 2 bis 4 µg (= 80 bis 160 IE) pro Tag aufnehmen. Weit weniger also als die empfohlene Tages menge von 20 µg. In einer Pressemitteilung der DGE heißt es: „Die Differenz muss demzufolge über die körpereigene Bildung und/oder über die Einnahme eines Vitamin-D-Präparates gedeckt werden. Bei häufiger Sonnenexposition kann die gewünschte Vitamin-D-Versorgung auch ohne Substitution erreicht werden.“

Einen allzu laxen Umgang mit dem Vitamin bewerten Onkologen jedoch als kritisch. Denn Studien, die die Wirkung von Vitamin-D-Tabletten bei verschiedenen Krebsarten untersucht haben, waren widersprüchlich. „Bei Prostata-, Speise röhren- und Pankreas-Krebs etwa war das Risiko durch Vitamin D eher erhöht“, sagt die amerikanische Krebsexpertin Leena Hilakivi-Clarke. „Wie Vitamin-D-Tabletten wirken, ist individuell sehr unterschiedlich.“ So könnten etwa Mikrotumoren durch eine Vitaminkur erst recht wachsen. Grundsätzlich kann also ein Zuviel schaden.

Sich mit Lebensmitteln eine Vitamin-D-Vergiftung zu holen, ist ebenso unwahrscheinlich wie durch zu viel Sonne – denn hier verringert eine verstärkte Pigmentierung die Vitamin-D-Produktion. Wer spezielle Präparate einnimmt, kann bei fehlender Vorsicht schon eher in die Gefahrenzone kommen. Bereits die 10-fache Menge der empfohlenen Tagesdosis kann auf Dauer zu Schädigungen führen. Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen sind die ersten Symptome. Das überschüssige Vitamin D mobilisiert Kalk aus den Knochen, die dadurch brüchig werden. Das freigesetzte Kalzium wiederum kann zur Verkalkung der Nieren führen. Vitamin-D-Präparate sind also nur nach Absprache mit dem Arzt zu verwenden.

Wer ist wirklich gefährdet?

Auf die Versorgung ist besonders bei folgenden Gruppen zu achten:

  • Säuglinge und Kleinkinder: Weder Mutter- noch Kuhmilch enthalten aus reichend Vitamin D. Deshalb erhalten Säuglinge und Kleinkinder ihre tägliche Vitamin-D-Tablette. Darauf zu verzichten, wäre fahrlässig. Frühgeborene haben einen besonders hohen Bedarf.
  • Strenge Vegetarier nehmen keine tierischen Fette zu sich und erhalten über die Nahrung nur minimale Mengen des pflanzlichen Provitamins. Cave: Osteo porosegefahr nach dem Klimakterium möglicherweise erhöht!
  • Starke Raucher haben oft einen drastisch erniedrigten Vitamin-D-Spiegel. Sie müssen deshalb auf eine überdurchschnittliche Zufuhr achten.
  • Bewohner südlicher Länder besitzen häufig einen Stoffwechsel mit einem genetisch gesteuerten Sparprogramm für die Vitaminproduktion in der Haut. Die sogenannte „Migrantenosteomalazie“ ist deswegen hierzulande keine Seltenheit mehr. I Alte Menschen bewegen sich oft zu wenig in der Sonne. Außerdem nimmt mit zunehmendem Alter die Vitamin-D-Synthese in der Haut immer mehr ab.

Trotzdem warnen viele Mediziner vor zu vielen Tabletten. Hartmut Glossmann, Mediziner an der Universität Innsbruck, meint: „Pillen alleine reichen nicht, weil Sonnenstrahlen viel mehr gute Wirkungen haben, als nur Vitamin D zu liefern.“ Wärme und Licht der Sonne seien auch gut fürs Gemüt. UV-Strahlung pushten auch direkt das Immunsystem und dämmte Entzündungen ein. Bleibt also zu guter Letzt als bester Rat für alle, die nicht täglich Heißhunger auf Matjes, Lachs oder Makrele verspüren: Tankt mehr Sonne! Es gibt erste Hinweise, dass das Sonnenvitamin kein ewiges Leben schenken wird. So ergab die Datenauswertung aus der niederländischen „Leiden Longevity Study“ bei Mitgliedern von Familien mit zwei noch lebenden über neunzigjährigen Zwillingen niedrigere Vitamin-D Spiegel als bei den Personen der Kontrollgruppe. Ein Ergebnis, das klar macht: Höhere Vitamin-D-Spiegel sind nicht gleichzusetzen mit weniger Krankheiten und längerem Leben. Grundsätzlich gilt für Vitamine: Das Maximum der Zufuhr ist nie das Optimum. Auch beim Vitamin D bleibt zu hoffen, dass sich die Experten in naher Zukunft auf Empfehlungen einigen, die unserer Gesundheit zugutekommen.

Vitamin D bei Osteoporose

Die Stiftung Warentest hat 2012 folgende Tabletten mit Vitamin D3 (Cholecalciferol 1000 IE) bei Osteoporose als „geeignet“zur Vorbeugung und Behandlung von Vitamin-D-Mangel bewertet (um eine Osteoporose-Behandlung zu unterstützen, kann zusätzlich Kalzium notwendig sein):

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Cholecalciferol-DrageesPreis pro Tablette Vigantoletten 10000,08 EuroVitamin D3 Hevert0,08 EuroVitamin D3-Woerwag0,09 EuroDedrei Dragees (rezeptpflichtig)0,14 Euro

Diese Liste gibt den Sachstand vom Februar 2012 wieder. Neuere Präparate sind nicht berücksichtigt.

Dr. Friedhelm Mühleib
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