Hallux Valgus - Wo der Schuh drückt

23.08.2018

Der Hallux valgus gehört zu den häufigsten Deformitäten der Großzehe bei Frauen. Bei Männern kommt der „Ballen“ wesentlich seltener vor. Das liegt unter anderem auch an den Ursachen, die da wären: ungeeignetes Schuhwerk, erbliche Faktoren (genetisch bedingter Spreizfuß), Kontrakturen (Muskel-Sehnen-Verkürzungen), gestörtes Muskelgleichgewicht, Traumata (Verletzungen, Brüche, Keloidbildungen) sowie biomechanische Fehlbelastungen. Aus orthopädischer Sicht stehen neben den allgemeinen Ursachen die Jugendsünden an erster Stelle, die sich leider erst später bemerkbar machen: Zu enge, spitze Schuhe mit hohen Pfennigabsätzen (Pumps) in jungen Jahren getragen, haben die Großzehe nach lateral (kleinzehenwärts) in eine X-Stellung gepresst.

Verlauf

Ein Hallux valgus verschlechtert sich im Krankheitsverlauf stetig, die Großzehe weicht immer mehr aus ihrem Gelenk ab. Diese Fehlstellung kann im schlimmsten Fall zu einer Luxation (Ausrenkung aus dem Gelenk) führen. Ebenfalls weichen die Muskelfunktionen aus dem physiologischen Muster stark ab und verlieren ihr „Gleichgewicht“.

Meistens schiebt sich zunächst das Köpfchen des ersten Mittelfußknochens vor und es kommt zum klassischen „Überbein“, der sogenannten Exostose. Dann kommt es zu einer Einwärtsdrehung des ersten Mittelfußknochens und der Großzehe (Pronation), weil die Band- und Sehnenstrukturen der fortschreitenden Deformität nicht in gleichem Maß folgen können. Der Musculus abductor hallucis (Großzehenabzieher) zieht die Großzehe nach innen und rutscht nach plantar (zur Fußsohle hin) ab. Die Sehnen des Extensor hallucis longus (langer Zehenstrecker) und des Flexor hallucis longus (langer Zehenbeuger) ziehen nach lateral (zur Kleinzehe hin). Der Flexor hallucis brevis (kurzer Zehenbeuger) zieht mit seiner Sehne die plantar (zur Fußsohle hin) gelegenen Sesambeinchen nach lateral (zur Kleinzehe hin). Die Sehnenstrukturen verkürzen sich. Die Zehen zwischen Großzehe und Kleinzehe werden verdrängt und deren Köpfchen drücken nach plantar (zur Fußsohle hin) durch. Durch die gestörte Biomechanik beim Gehen werden die hyalinen Gelenkknorpel falsch belastet, degenerieren und das Ergebnis ist eine schmerzhafte Arthrose (progredienter Gelenkverschleiß). Die Muskelansätze sowie die äußere Gelenkkapsel schrumpfen und die innere Gelenkkapsel wird überdehnt. Ein in diesem Stadium manifestierter Hallux bleibt und ist konservativ nicht mehr reversibel.

Komplikationen wie sehr schmerzhafte Bursitiden (Schleimbeutelentzündungen), unelastische Hornhautschwielen bis hin zu entzündeten Clavi (Hühneraugen) durch die mechanische Reizung im Schuh (Druck, Reibung) sind die Folge. Durch den schmerzhaft gereizten, oft chronisch entzündeten Ballen können nur noch sehr weite Schuhe getragen werden. Besonders im Winter kommt es zudem häufig zu Schmerzen des Ballens, wenn dieser durch das dünne Schuh­oberleder „unterkühlt“ und es als Konsequenz zur Vasodilatation (Blutgefäßerweiterung) kommt. Dann ist von Pernionen (Frostbeulen) die Rede, die aber mit einer Erfrierung nichts zu tun haben.

Prävention und Behandlung

Damit es erst gar nicht zu einem Hallux valgus kommt, sollten Sie Ihren Kundinnen raten, hohe, spitze, enge Schuhe grundsätzlich zu meiden. Und geschlossene Schuhe sollten niemals ohne Strümpfe getragen werden.

Ansonsten gibt es aus Sicht des Podologen viele „schmerzlindernde Maßnahmen“. Im Anfangsstadium oder bei leichten Formen kann ein gezieltes Muskeltraining den Verlauf bremsen und den Zug auf die Sehnen verringern. In der Praxis wird oft auch eine Halluxschiene, die über Nacht getragen wird, angeboten. Die Meinung von Fußprofis zu ihrem Nutzen ist jedoch geteilt. Sensomotorische sowie speziell angefertigte Einlagen sollten über Tag im geeigneten Schuh getragen werden. Wichtig dabei: Die Anhebung des Quergewölbes muss gewährleistet sein, ebenso die Verbesserung des muskulären Ungleichgewichts. Hier ist der Orthopädieschuhmacher mit seiner jahrelangen Erfahrung gefragt. Orthosen- beziehungsweise Ballenschalenanfertigungen halte ich nur zum Teil für therapiefördernd (hoher Zeit- und Kostenaufwand, der nicht im Verhältnis zum Ergebnis steht!).

Als letzte Instanz kommt die chirurgische Intervention in Betracht. Diese sollte allerdings nur von einem „Fußspezialisten“ (Orthopäde mit Facharztausbildung, Fußchirurg) durchgeführt werden! Alle aktuellen oder auch nur die seit Jahren erfolgreichsten operativen Maßnahmen zu erläutern, würde den Rahmen dieser Veröffentlichung sprengen. Denn es hat sich sehr viel getan in der Fußchirurgie.

Und während früher lange ruhig gestellt wurde, sollen Patienten heute mit Spezialschuhen direkt nach der Operation belasten. Betroffene tragen postoperativ in der Regel vier bis sechs Wochen lang einen Spezialschuh zur Vorfußentlastung und im Einzelfall Gehstützen zur Unterstützung beim Treppensteigen und Ähnlichem.

Die Risiken der verschiedenen OPs, die eingesetzten Schmerzmittel oder die eingeschränkte Mobilität nehmen die Patienten meist gern in Kauf, wenn sie eine gewisse Zeit nach der OP wieder in „regulären“ Schuhen schmerzfrei laufen können.

Fritz Bittig - Er ist Fachlehrer für Podologie/Medizinische Fußpflege, Fachbuchautor und Referent.

www.fritz-bittig.de

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