Titandioxid – der Weißmacher

16.01.2023
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Bisher galt der Einsatz von ­Titandioxid als Hilfsstoff in Lebensmitteln, Arznei­mitteln, Kosmetika und vielen anderen Artikeln des täglichen ­Lebens als gesundheitlich unbedenklich. Doch seit ­einiger Zeit mehren sich ­Bedenken und Rest­riktionen. Die Hintergründe haben wir für Sie zusammengestellt.

Titan (Ti) ist ein Leichtmetall. Es kommt in der Erdkruste in Form von Mischoxiden, vergesellschaftet mit Calcium, Silicium und Eisen oder als reines Titandioxid vor.

Elementares Titan dient zur Herstellung hochfester Legierungen, bei denen es auf ein geringes Gewicht, physikalische Zähigkeit und chemische Stabilität ankommt. Geräte und Implantate mit langer Lebensdauer und hoher physiologischer Verträglichkeit und der Flugzeugbau sind Beispiele für häufige Anwendungen.

Schmuckstücke

Das aus der Oxidation des elementaren Titans resultierende Titandioxid (TiO2) kristallisiert in mehreren Modifikationen, von denen insbesondere die Mineralien Rutil und Anatas zu Schmucksteinen mit variierender Farbgebung verarbeitet werden. Das zu Pulver gemahlene Oxid nimmt eine rein weiße Farbe an und wird in vielfältiger Weise als Pigment verwendet. Einsatzgebiete sind Lebensmittel, Arzneimittel, Beschichtungen, Farben, Lacke, Waschmittel und Kosmetika.

Titandioxid hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts die umwelt- und gesundheitsschädlichen, ebenfalls weißen Bleisalze wie Bleisulfat und Bleicarbonat ersetzt. Vor allem die höhere chemische Stabilität des Pigments erwies sich als Vorteil gegenüber den Bleisalzen, die in Gegenwart des überall in Spuren vorkommenden Schwefelwasserstoffs mit der Zeit unter Bildung von Bleisulfid nachdunkelten.

Das Pigment wird durch Behandlung von mehr oder weniger eisenhaltigen Titan­dioxid-Erzen mit konzentrierter Schwefelsäure gewonnen. Das Verfahren hat in Deutschland durch die (später eingestellte) Verklappung von Dünnsäure in der Nordsee Negativ-Schlagzeilen gemacht. Mittlerweile gewinnt ein Kreislaufverfahren mit Titantetrachlorid als Zwischenstufe an Bedeutung.

Reinigender Halbleiter

Titandioxid-Partikel können mit anderen Stoffen umhüllt („gecoatet“) werden. Dadurch ändern sich die optischen Eigenschaften. In der Kosmetik haben sie dann beispielsweise einen Kern von Titandioxid (INCI: CI 77891) und eine Umhüllung von Aluminiumhydroxid (INCI: Aluminium Hydroxide).

Die Umhüllung hat den Vorteil, die chemische Stabilität von TiO2-Dispersionen weiter zu erhöhen. Denn Titandioxid hat Halbleitereigenschaften. Das bedeutet: Bei Strahlungen im nahen UV-Bereich werden aus dem Kristallgitter reduzierend wirkende Elektronen freigesetzt. Umgekehrt bleiben Elektronenlücken zurück, die über ein hohes oxidatives Potenzial verfügen und Radikale erzeugen können.

Ein typisches Beispiel sind Hydroxyl-Radikale (OH•), die aus den Hydroxid-Anionen (OH–) des Wassers entstehen. Sie greifen praktisch alle organischen Sub-stanzen an und bauen sie letztendlich ab. Auf diesem Prinzip beruht die photokatalytische Reinigung Nano-Titandioxid-beschichteter Oberflächen.

Fraglicher Sonnenschutz

Aus Sicht der Photokatalyse erscheint der frühere Einsatz des unbehandelten (nicht-gecoateten) Oxids als mineralische Komponente in Sonnenschutzmitteln mehr als kontraproduktiv, wobei seinerzeit immer auf die physikalische Reflexion der Strahlung hingewiesen wurde.

Spätestens mit der Einführung der farblosen Nano-Teilchen wurde diese Argumentation ad absurdum geführt. Denn die oben beschriebene Reaktionsbereitschaft wächst mit abnehmendem Durchmesser der Partikel. Nano-Dispersionen wurden dann folgerichtig wieder aus dem Verkehr gezogen, allerdings tatsächlich aus einem anderen Grund: Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die biologisch nicht abbaubaren Nanopartikel möglicherweise durch die intakte und umso mehr durch die barrieregestörte Haut in den Blutkreislauf gelangen. Dieser Verdacht konnte bis heute nicht bestätigt werden.

Stäube und Aerosole

Als Weißpigment wird Titandioxid nicht nur in kosmetischen Pudern, sondern auch in Aerosol-erzeugenden Haarpflegemitteln verwendet. Aerosole entstehen ebenfalls bei der Versprühung von Dispersionsfarben und selbst beim Auftragen mit der Farbrolle. Während das Oxid bei der Verwendung in Kunststoffen und Papier fest eingebunden ist, muss bei der Inhalation von Stäuben und Aerosol-Nebeln mit der Aufnahme besonders kleiner Teilchen in der Lunge gerechnet werden. In der Lunge führt Titandioxid zu entzündlichen Immunantworten.

Da es nicht abgebaut wird, verhält es sich vermutlich ähnlich wie vergleichbare mineralische Stäube wie etwa Zement, Quarz und Kohlenstaub. Die Inhalation wurde diesbezüglich als potenziell kanzerogen eingestuft.

Die Technische Regel für Gefahrstoffe „TRGS 559 – Mineralischer Staub“ vom Februar 2010 beschreibt ausführlich die Auswirkungen von Stäuben und die zu treffenden Schutzmaßnahmen. Die TRGS 559 gilt jedoch im Falle von kosmetischen mineralstoffhaltigen Pudern nur für die Produktion. Auf Anfrage beim Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e. V. (IKW) wurde bestätigt, dass es zur- zeit (Stand Januar 2022) keine Bestrebungen gibt, kosmetische Puder mit einem Warnhinweis zu versehen.

Titandioxid in Lebensmitteln

Bis vor Kurzem galt Titandioxid als sichere aufhellende Komponente in Lebensmitteln wie beispielsweise Kaugummi, Instant-Soßen, Backmitteln, Käse und pastillenförmigen Süßigkeiten. Mittlerweile hat sich in Tierversuchen herausgestellt, dass der Lebensmittelzusatzstoff E171 Darmentzündungen verursachen kann. Auch dort wird ein kanzerogenes Potenzial vermutet. Darüber hinaus ergaben sich anhand von Untersuchungen mit Wasserflöhen (Daphnien) Hinweise auf eine aquatische Toxizität und eine damit verbundene Mutagenität.

Die Europäische Kommission hat am 14. Januar 2022 die Verwendung von E 171 in Lebensmitteln verboten. Die Umsetzung des Verbots in Deutschland wird voraussichtlich Mitte des Jahres 2022 erfolgen. Im benachbarten Frankreich wurde Titandioxid bereits 2020 aus dem Verkehr gezogen.

Lippenstift, Tabletten und Co.

Vor diesem Hintergrund werden vermutlich in Zukunft auch TiO2-haltige Lippenstifte und Zahnpasten kritischer zu sehen sein, da ein beachtlicher Teil der Zusammensetzung bei der Verwendung verschluckt wird.

Ergänzend ist noch zu bemerken, dass Titandioxid ein beliebter Hilfsstoff von Tabletten und Dragees im Arzneimittelsektor und in Medizinprodukten ist. Auch hier kann früher oder später, wenn die bisher vorliegenden Daten bestätigt werden, mit Restriktionen gerechnet werden.

Dr. Hans Lautenschläger
Chemiker, geschäftsführender Gesellschafter Koko Kosmetikvertrieb
GmbH & Co. KG, Leichlingen,
www.dermaviduals.de

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