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05.04.2023
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Am 16. Februar 2023 kam endlich die erlösende Meldung von der Europäischen Kommission aus Brüssel: Die Übergangsfristen für die Neuzertifizierung nach der Medizinprodukteverordnung (MDR) wurden verlängert. Was bisher galt und welche neuen Fristen nun feststehen, ­erfahren Sie hier.

Bereits Anfang Dezember letzten Jahres hatten die EU-Gesundheitsminister im Rahmen der Tagung des ESPCO-Rates auf einen legislativen Verbesserungsvorschlag der MDR gedrängt. Am 6. Januar 2023 legte die EU-Kommission den Legislativvorschlag zur Verbesserung der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) vor. Darin werden zur Vermeidung von Produktengpässen die Abschaffung der Abverkaufsfrist und die Verlängerung der Übergangsfristen gefordert. Die neuen Regelungen sollen risikobasiert abgestuft werden. Das bedeutet, dass Medizinprodukte mit einer höheren Risikoklasse eher ein MDR -Zertifikat benötigen als solche mit niedrigerer Risikoeinstufung. Am 16. Februar hat das Europäische Parlament über den Entwurf mit einer Mehrheit positiv abgestimmt. Da der Rat bereits Ende Januar zustimmte, ist die Änderung de facto angenommen. Vorangegangen war eine jahrelange Diskussion, verbunden mit eindringlichen Warnungen vor Produktengpässen vonseiten der Medizinproduktehersteller und der benannten Stellen.

Hintergründe

Die Medizinprodukteverordnung ist die erste europaweit geltende Regelung. Sie regelt das Medizinprodukterecht umfassend für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die MDR trat ursprünglich zum 25. Mai 2017 in Kraft, und als sogenannte „Regulation“ gilt sie unmittelbar in allen Ländern der EU. Nichtsdestotrotz mussten auch auf nationaler Ebene Anpassungen in den dort geltenden Medizinproduktegesetzen vorgenommen werden, um einen rechtlich reibungslosen Übergang zur MDR und deren nationaler Umsetzung zu ermöglichen. In Deutschland wurde dazu das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) geschaffen, das die Durchführung und Ergänzung der MDR auf nationaler Ebene regelt. Die neue Regulierung hat zu hohen Investitionen vor allem in spezialisierte Fachkräfte geführt. Die Kosten für die MDR-Implementierung werden auf sieben bis zehn Milliarden Euro geschätzt.

Auslöser für den Wunsch nach neuen Regelungen im Medizinprodukterecht waren diverse Skandale gewesen. Nicht zuletzt der kollektive Aufschrei nach Bekanntwerden mangelhafter Brustimplantate („PIP-Skandal“) hatte die europäischen Mitgliedsstaaten in dem Unterfangen bestärkt.

Die wesentlichen Neuregelungen haben daher nahezu alle eine verbesserte Überprüfung der Produkte vor und nach Markteinführung zum Inhalt. Erklärtes Ziel war es, die Patientensicherheit deutlich zu erhöhen und Herstellern sowie benannten Stellen entsprechende Pflichten aufzuerlegen.

Fotos: Parilov/Shutterstock.com

Inhalte der MDR

Die Medizinprodukteverordnung enthält daher eine Reihe neuer Vorgaben, die nationale Medizinproduktegesetze so bisher nicht kannten. Tatsächlich erinnern die Regelungen teilweise an das seit jeher strengere Arzneimittelrecht, welches bereits vor vielen Jahren einen europäischen Rahmen erhalten hat. Überblicksartig wurden folgende Aspekte umgesetzt:

  • Einheitliche Benennung und Überwachung der Benannten Stellen auf Basis konkretisierter und verschärfter Anforderungen,
  • Schaffung einer Koordinierungsgruppe (Medical Device Coordination Group – MDCG), bestehend aus Benannten Experten aller Mitgliedstaaten,
  • Einführung eines zusätzlichen Kontrollverfahrens für die Konformitätsbewertung der Benannten Stelle für Medizinprodukte mit hohem Risiko durch ein Expertengremium (Scrutiny-Verfahren),
  • Konkretisierung der Anforderungen an die klinische Bewertung,
  • detaillierte Regelung des Verfahrens zur Genehmigung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten und Leistungsstudien für In-vitro-Diagnostika,
  • Verschärfung der Bestimmungen über die Marktüberwachung und das Vigilanzsystem,
  • Regelung der Aufbereitung von Einmalprodukten einschließlich des Verbots der Aufbereitung bestimmter Einmalprodukte,
  • Verbesserung der Identifizierung und Rückverfolgbarkeit von Produkten durch die Einführung einer eindeutigen Produktidentifizierungsnummer (Unique Device Identification, UDI),
  • Verpflichtung der Hersteller zur Deckungsvorsorge im Haftungsfall,
  • Erweiterung der europäischen Datenbank für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika (EUDAMED), die teilweise öffentlich zugänglich gemacht werden soll,
  • neue Klassifizierungsregeln unter anderem für Software, Produkte mit Nanomaterialien sowie sogenannte stoffliche Medizinprodukte,
  • Einführung des Konzepts einer klinischen Bewertung von In-vitro-Diagnostika.

Erstmals wurden auch Produkte, die in Risiko und Anwendung Medizinprodukten ähnlich sind, jedoch keine klassisch medizinischen Indikationen bedienen, in die MDR aufgenommen. Im Wesentlichen umfasst die neu geschaffene Anlage XVI dabei Produkte, die ästhetische Zielsetzungen verfolgen. Dazu gehören zum Beispiel Hyaluronfiller oder Laser- und Kryolipolysegeräte.

Bisherige Übergangsfristen

Bereits vor Inkrafttreten der MDR im Jahre 2017 machten Hersteller und Benannte Stellen sowie Fachverbände auf die ihrer Ansicht nach zu kurzen Übergangsfristen aufmerksam. Diese betrafen sowohl die Re-Zertifizierung der Benannten Stellen als auch die Medizinprodukte selbst. Den trotz vieler Umstrukturierungen und Investitionen fehlt vielen klein- und mittelständischen Unternehmen nach wie vor eine Benannte Stelle. Die Kapazitätsengpässe führen nach wie vor zu Ablehnungen von Anträgen und damit zu Verzögerungen bei den dringend benötigten Re-Zertifizierungen.

Nach Art. 120 Abs. 1 MDR verloren die Notifizierungen nach der europäischen Medizinprodukterichtlinie zum 26. Mai 2020 ihre Gültigkeit. Ausnahmen betrafen Produkte, die ihre Zertifikate vor dem 25. Mai 2017 erhalten hatten.Hier war die Gültigkeit, welche auf dem Zertifikat vermerkt war, ausschlaggebend (Art. 120 Abs. 2 Satz 1 MDR).

Bescheinigungen, die nach dem 25. Mai 2017 ausgestellt wurden, galten ebenfalls gemäß der auf den Bescheinigungen angegebenen Gültigkeit. Allerdings darf der Gültigkeitszeitraum fünf Jahre nicht überschreiten. Spätestens ab dem 27. Mai 2024 verlieren auch diese Zertifikate ihre Gültigkeit (Art. 120 Abs. 2 Satz 2 und 3 MDR). Zuletzt gab es noch eine Ausnahme für Produkte, die vor oder ab dem 26. Mai 2020 in Verkehr gebracht worden waren. Sie durften bis zum 27. Mai 2025 weiter auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden (Art. 120 Abs. 4 MDR).

Neue Regelungen

Das Europäische Parlament hat mit seiner Entscheidung vom 16. Februar dieses Jahres neue Fristen beschlossen. Diese sollten nun auch für ein Aufatmen in der Branche sorgen und drohende Engpässe verhindern helfen.

Wie bereits erwähnt, werden die Übergangsfristen nach den Risikoklassen der betroffenen Medizinprodukte gestaffelt. Für Medizinprodukte, deren Zertifikat vor dem 26. Mai 2021 ausgestellt wurde, gelten folgende neue Fristen:

  • Maßgefertigte implantierbare Produkte der Klasse III: 26. Mai 2026
  • Produkte der Klasse III und implantierbare Produkte der Klasse IIb (ohne Nahtmaterial, Klammern, Zahnfüllungen, Zahnspangen, Zahnkronen, Schrauben, Keile, Platten, Drähte, Stifte, Clips und Verbindungsstücke: 31. Dezember 2027
  • Produkte der Klasse IIb, Produkte der Klasse IIa und Produkte der Klassen ls, lm, lr (mittleres oder geringes Risiko): 31. Dezember 2028

Die Verlängerungen wurden dabei an genau definierte Voraussetzungen geknüpft. Sie gilt nur für Produkte, die sicher sind und für die der Hersteller bereits im Prozess zur Umstellung auf die MDR ist. Vonseiten der Hersteller muss ein entsprechender Antrag bis spätestens zum 26. Mai 2024 eingereicht werden. Die vertragliche Vereinbarung mit der Benannten Stelle muss bis spätestens 30. September 2024 geschlossen werden. Die Abverkaufsfrist aus Art. 102 Abs. 4 MDR wird abgeschafft, um Medizinprodukte über den 26. Mai 2025 hinaus weiter verkaufen zu können.

Foto: Autorin
Dipl.-Kffr. Astrid Tomczak

LL. M (Pharmarecht), Doctor’s Delight, Pemmering

www.doctor-s-delight.de

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