Darmkeime – Spezialisten für die Haut

12.08.2021
Fotos: Christoph Burgstedt/Shutterstock.com, Madena

Der Darm ist besiedelt mit Billionen von unterschiedlichen Bakterien, die die Haut beeinflussen. Ist der Darm intakt, verhelfen sie uns zu gesunder Haut. Ist er gestört, können Erkrankungen – nicht nur auf der Haut – auftreten. Wir haben den Pharmazeut, Fachapotheker für Ernährungsberatung und Geschäftsführer von Madena, Rudolf Keil, im Interview zu den Hintergründen befragt.

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BEAUTY FORUM MEDICAL: Wie kann die Zusammensetzung der Darmflora den Hautzustand beeinflussen?

Rudolf Keil: Je besser die Darmflora aufgebaut ist, umso gesünder sind wir. Das spiegelt sich generell durch den Zustand unserer Haut wider. Im Detail: Eine gesunde Darmflora produziert Biotin und andere B-Vitamine, die für einen gesunden Hautstoffwechsel essenziell sind. Der Einfluss der Darmflora auf einen gesunden Hautstoffwechsel geht aber noch weit darüber hinaus. Unter den Darmkeimen gibt es Spezialisten für bestimmte Hautfragen. So weisen zum Beispiel Studien darauf hin, dass Lactobacillus plantarum vor Schäden durch UV-Licht schützt und Hautalterung entgegenwirkt. Lactobacillus paracasei ist ein guter Kandidat bei sensibler Haut und Lactobacillus rhamnosus bei Neurodermitis.

Welche Darmbakterien sind nützlich und welche können ihn und damit auch die Hautbarriere schädigen?

Als große Gruppen unter den nützlichen Bakterien sind Lactobazillen, Bifidobakterien und bestimmte E. coli-Bakterien zu nennen. Besonders gefährlich können Clostridien werden. In einem gesunden Darmmilieu dürfen sie ruhig in moderater Zahl vorhanden sein und werden von der Darmflora kontrolliert. Antibiotikagabe, geschwächte Immunabwehr, besonders im fortgeschrittenen Lebensalter, verbunden mit einer pflanzenarmen Lebens­mittelauswahl können die Keimmengen explodieren und den Keim so lebensgefährlich werden lassen.

Welche sind typische Hauterkrankungen, die auf eine gestörte Darmflora zurückzuführen sind?

Sensible Haut, Neurodermitis und vorzeitige Hautalterung.

Erst kürzlich wurde eine Metabolom-Studie veröffentlicht, die die Darmflora mit Krankheitsrisiken in Verbindung bringt. Kennen Sie die Studie und können Sie sie kurz vorstellen?

Die Metabolom-Studie halte ich für wegweisend auf der Suche nach dem Zusammenhang zwischen Darmflora, Ernährung und Gesundheitsprognose. Das Besondere an dieser Studie ist die Komplexität und Vielfalt der Daten, die in diesem Zusammenhang erhoben wurden.

Von 1098 Personen wurden 1203 verschiedene Darmbakterien genetisch bestimmt und ein Zusammenhang zu Ernährungsgewohnheiten hergestellt. Da diese Studie in der Fachzeitschrift Nature medicine, einer sehr hochrangigen Wissenschaftszeitschrift, veröffentlicht wurde, sind die Ergebnisse dieser Studie sehr ernst zu nehmen.

Im nächsten Schritt wird es wichtig sein, die gewonnenen Erkenntnisse auf die Praxis zu übertragen und zum Beispiel zu schauen, ob die Ansiedelung von besonders gesundheitsfördernden Bakterien dauerhaft gelingt und ob sich daraus ein günstigeres Gesundheitsprofil ergibt. Dies können zum Beispiel eine bessere Blutzuckerregulierung, ein besseres Fettstoffwechselprofil oder günstigere Entzündungsmarker sein.

Covid-19-Patienten sollen häufig an einer Störung der Darmflora leiden. Wissenschaftler an der Universität in Hongkong wollen herausgefunden haben, dass bei Covid-19 eine Störung der Darmflora ursächlich für einen schweren Verlauf der Erkrankung sein könnte. Wie beurteilen Sie das?

Fotos: Christoph Burgstedt/Shutterstock.com, Madena

Von diesem Ansatz halte ich sehr viel! Auch und besonders in extremen, gesundheitlich relevanten Situationen, wie wir sie jetzt im Zusammenhang mit dem Covid-19-Virus erleben, ist es wichtig, sich auf die biologischen Basics zu besinnen. Es ist im Grunde eine Binsenweisheit, dass Menschen mit einem stabilen Immunsystem deutlich weniger gefährdet sind, nach einer Infektion Krankheits-symptome zu entwickeln, als Menschen mit einem schwachen Immunsystem.

Die bisherige Erfahrung mit der aktuellen Corona-Infektion spiegelt dies auch wider. Mein Statement ist deshalb: Wenn wir realistischerweise davon ausgehen müssen, dass wir potenziell krankmachende Viren aus unserem Lebensbereich nicht verbannen können, müssen wir das tun, was uns maximal vor Krankheitssymptomen nach einer Infektion schützt. Ein Baustein in diesem Plan ist, den Organismus optimal mit Immunkompetenz auszustatten. Da der größte Teil des Immunsystems im Darm liegt und 
die Darmflora hier eine wichtige Rolle spielt, sollte man seine Darmflora jederzeit und besonders jetzt bestmöglich unterstützen.

Wie lässt sich die Darmflora steuern?

Am besten durch eine artenreiche pflanzenbasierte Ernährung, Omega-3-Fettsäuren-reichen Fisch, der nicht aus konventionellen Zuchten stammt, oder Omega-3-Fettsäure-reichen Algen und einer möglichst vielfältigen Auswahl von Vollkornprodukten.

Welche Nahrungsmittel sind besonders gut?

Besonders gut tun alle Pflanzen, die einen Bitteranteil haben, wie Chicorée, Rucola oder Endiviensalat und meine persönlichen Highlights: Kurkuma und Granatapfel.

Und was tut nicht gut?

Schlecht sind Zucker in isolierter Form, verarbeitete Lebensmittel, besonders wenn sie konserviert sind, und alle Zusatzstoffe, die keine physiologische Funktion haben.

Wie können probiotische Bakterien Hauterkrankungen lindern und Problemhaut behandeln?

Durch innere und äußere Anwendung. Für die innere Anwendung gibt es studienbelegt gute Hinweise, bei Hauterkrankungen bestimmte Bakterienstämme als Nahrungsergänzung zu nutzen. Hierzu gehören Lactobacillus rhamnosus und Lactobacillus paracasei. Aus meiner Sicht, bestätigt durch meine Erfahrung, ist es sehr wichtig, diese Keime zusammen mit einem Präbiotikagemisch zu geben. Denn Nahrung für gute Bakterien zur Verfügung zu stellen ist mindestens so wichtig, wie gute Bakterien zu nehmen. Für 
die innere Anwendung kann ich resistente Stärke Typ 3 sehr empfehlen. Sie entsteht, wenn gekochte Kartoffeln oder Reis erkalten.

Sehr gute Erfahrungen habe ich mit der äußeren Anwendung eines Prä- und Probiotikagemischs gemacht, das neben verschiedenen Probiotika die beiden hocheffektiven Präbiotika Inulin und Apfelpektin enthält. Selbst über viele Jahre nicht zufriedenstellend therapierbare Hautläsionen verschiedener Ursachen verbesserten sich innerhalb kürzester Zeit deutlich. Hierzu haben wir eine eigene Studie durchgeführt.

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