Diabetisches Fußsyndrom

03.03.2021
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Diabetes gilt als eine der großen Volkskrankheiten. Die Folge kann das Diabetische Fußsyndrom (DFS) – auch Diabetischer Fuß genannt – sein. Was es mit der komplexen Krankheit auf sich hat und warum die Behandlung interdisziplinär in einem Netzwerk erfolgen sollte, erklärt Orthopäde und DFS-Spezialist Dr. med. Christoph Volkering.

Die Ursache für ein diabetisches Fußsyndrom ist auf zwei Folgen des Diabetes zurückzuführen. Bei circa 30 Prozent der Patienten kommt es im Verlauf des Diabetes zu einer Durchblutungsstörung mit Verengung beziehungsweise Verschluss der Arterien, die die Füße versorgen. Hier kann es zum Absterben von Zehen bis hin zum ganzen Fuß kommen.

Bei 70 Prozent der Patienten besteht eine sogenannte Polyneuropathie. Durch den erhöhten Blutzuckerspiegel kommt es zur Veränderung beziehungsweise zum Absterben der Nerven. Das beginnt an den Zehen und steigt mit der Zeit immer weiter auf. Die Polyneuropathie hat verschiedene Folgen am Fuß. Wenn die Nerven, die den Fuß versorgen, nicht mehr richtig funktionieren, kommt es zu Fehlstellung am Fuß.

Eine für den Diabetiker typische Fehlstellung sind die Krallenzehen. Die kleinen Fußmuskeln, die die Zehen im Grundgelenk stabilisieren, fallen als Erstes aus. Die großen Beuge- und Streckmuskeln am Unterschenkel, die alle an der Zehenspitze wirken, ziehen die Zehen in die Krallenzehenstellung. Das führt nicht selten zu einer Fehlbelastung an den Zehenspitzen und über den Gelenken.

Was man dabei häufig bemerkt, ist eine Verdickung der Nägel. Dabei handelt es sich nicht um einen Nagelpilz. Die Nägel werden chronisch gestaucht, sodass sie sich verdecken. Im schlimmsten Fall bildet sich ein Druckulkus, das über eine Infektion zum Verlust der Zehen bis hin des Fußes führen kann. Da die Diabetiker mit einer fortgeschrittenen Polyneuropathie ihre Füße nicht mehr richtig spüren, kommt es häufig zu Verletzungen. Ein typisches Beispiel für einen solchen Unfall ist das zu heiße Badewasser mit schweren Verbrennungen als Folge. Auch werden Verletzungen und Ulzerationen nicht wahrgenommen oder unterschätzt. Das führt häufig dazu, dass Patienten, auch teilweise, weil sie sich schämen, sehr spät den Arzt aufsuchen.

Ein dritter Aspekt der Polyneuropathie ist der Ausfall des autonomen Nervensystems. Das autonome Nervensystem sorgt beispielsweise für die Eng- und Weitstellung der Gefäße. Fällt es aus, sind die Gefäße automatisch weitgestellt. Das klingt im ersten Moment wie ein Vorteil, ist es aber nicht. Es öffnen sich Kurzschlussverbindungen zwischen den Arterien und den Venen, sodass ein Teil des Blutes am Gewebe vorbeifließt. Ein weiteres Problem ist der Ausfall der autonomen Nerven, die die Schweiß- und Talgdrüsen regulieren. Der Fuß trocknet aus. Haut und Hornhaut können so hart werden, dass sie brechen. Das ist wiederum eine Eintrittspforte für Bakterien in den Fuß.

Es gibt bei Diabetikern mit einer Neuropathie noch eine ganz spezielle Verlaufsform. Beim sogenannten Charcotfuß kommt es aufgrund bis jetzt noch nicht eindeutig geklärter Gründe zu einer Erweichung des Knochens. Von außen sieht der Fuß aus wie entzündet. Er ist geschwollen, gerötet und überwärmt. Belastet der Patient weiterhin den Fuß, kann der Fuß einbrechen, was wiederum zu einer massiven Fehlstellung führt.

Diagnosestellung

An erster Stelle der Diagnostik steht immer die Erfassung der Krankengeschichte des Patienten. Man beginnt mit der Erfahrung der Vorgeschichte, der Begleiterkrankungen und welche Maßnahmen bereits ergriffen worden sind. Dann folgt die klinische Untersuchung. Mein erster Griff geht immer in Richtung der Gefäße. Sind die Fußpulse tastbar, liegt in der Regel auch keine höhergradige Durchblutungsstörung vor. Wenn die Kurse nicht tastbar sind, bedarf es einer spezielleren Untersuchung durch einen Angiologen oder Gefäßchirurgen.

Ganz wichtig ist die Inspektion. Hier schaut man nach Fußfehlstellungen, Einschränkungen der Beweglichkeit der Gelenke, einer vermehrten Beschwielung, was auf eine erhöhten Knochendruck hinweist, und nach Wunden und Ulzerationen. Beim Vorliegen von Wunden und Ulzerationen, müssen unbedingt Zeichen einer Infektion erfasst werden. Diese sind Rötung, Schwellung, Überwärmung. Schmerzen, und eine aufgehobene Funktion als weitere Zeichen einer Infektion können beim Neuropathiker fehlen. Anschließend werden in der Regel zumindest Röntgenbilder angefertigt. Kernspintomografie, Computertomografie und Sonografie bleiben besonderen Fragestellungen, zum Beispiel dem Charcotfuß, vorbehalten.

Behandlungsmöglichkeiten

Bei Durchblutungsstörungen steht immer die Wiederherstellung einer möglichst guten Durchblutung im Vordergrund. Dies kann durch Aufdehnen der Gefäße oder, wenn dies nicht ausreicht, durch die Anlage von Bypassen (Überbrückung des Gefäßverschlusses durch eine Gefäßprothese oder einen Venenbypass) geschehen.

Beim neuropathischen Fuß steht in der Anfangsphase die Aufklärung des Patienten im Vordergrund. Bei schwindendem Gefühl in den Füßen muss der Patient wissen, dass diese Füße regelmäßig kontrolliert werden müssen. Hier hat die Anbindung an einen Podologen einen wesentlichen prophylaktischen Charakter. Die Bearbeitung von Hornhaut und der Zehennägel verhindert unter Umständen eine desaströse Infektion. Nach meiner Ansicht haben Podologen eine wesentliche wegweisende Funktion. Sie sehen ihre Patienten regelmäßig und können den Verlauf sehr gut abschätzen. Droht Gefahr, zum Beispiel einer Infektion, sind die Podologen nicht häufig die Kollegen, die die Patienten dorthin überweisen, wo ihnen wirklich geholfen wird.

Ein wesentlicher Aspekt ist auch die Einlagen- und gegebenenfalls Schuhversorgung. Man weiß beispielsweise, dass die Kombination aus Einlage mit einer steifen Sohle den Druck auf die Fußsohle um bis zu 50 Prozent verringern kann. Bei Patienten mit Fußfehlstellungen können prophylaktische Operationen verhindern, dass Druckulzerationen entstehen.

Hier sei als Beispiel die Korrektur von Krallenzehen durch Sehnendurchtrennungen genannt. Die Therapie des Charcotfußes gehört in die Hände eines Spezialisten. Die meiste Expertise wird man bei auf diabetische Füße spezialisierten Fußchirurgen finden. Hier sind in der Anfangszeit spezielle Entlastungsorthesen notwendig, um das Einbrechen des Fußes zu verhindern.

Präventionsmaßnahmen

Die beste Prävention ist die optimale Einstellung des Blutzuckers. Dadurch lassen sich die Folgen des Diabetes am Fuß vermeiden. Bei sich ankündigenden Problemen sollten nicht zu lange mit der Zuweisung zum Spezialisten gewartet werden. Die frühzeitige Zuweisung ist ausschlaggebend für das Ausmaß der weiteren Behandlung. Ansonsten empfiehlt es sich, unbedingt Teil eines auf diabetische Füße spezialisierten Netzwerkes zu werden.

Als Alleinkämpfer diese Patienten behandeln zu wollen, funktioniert nicht. Ein Netzwerk gibt immer die Möglichkeit des Austausches, der Hilfe und des schnellen Transfers zum Spezialisten. Das ist auch im Sinne des Patienten und hat schon viele Füße gerettet.

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Das Diabetische Fußsyndrom: Interview mit Dr. med. Arthur Grünerbel

Im Interview gibt der Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe eine Einschätzung zum DFS aus internistischer und diabetologischer Sicht. Lesen Sie auch den Fachbeitrag von Dr. med. Christoph Volkering in der BEAUTY FORUM 3, Seite 44. Der Orthopäde beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Diabetischen Fuß.

BEAUTY FORUM: Worin liegt die Ursache für einen Diabetischen Fuß?

Dr. med. Arthur Grünerbel: Grundvoraussetzung für das Auftreten eines Diabetischen Fußsyndroms, und das kann auch viele Diabetiker vielleicht beruhigen, ist eine langjährige schlechte Einstellung des Diabetes mellitus. In ganz seltenen Fällen entsteht eine Polyneuropathie, zwar auch einmal infolge einer besonderen Art von Chemotherapie bei manchen Krebserkrankungen, in der Regel liegt aber der schlecht eingestellte Diabetes zugrunde. Das heißt, dass der Patient nicht zwangsläufig befürchten muss, ein Diabetisches Fußsyndrom zu bekommen, wenn er rechtzeitig an seiner Diabeteseinstellung arbeitet.

Wie läuft die Behandlung ab?

Grundsätzlich gehört eine regelmäßige Fußuntersuchung zur Verlaufskontrolle von Menschen mit Diabetes mellitus dazu. Sie ist deshalb auch Bestandteil des sogenannten DMP (Disease-Management-Programm) für Diabetes mellitus und verlangt Untersuchungen mindestens im Jahresabstand, bei krankhaftem Ergebnis zur Sicherheit auch in halb- oder vierteljährlichen Intervallen. Auf jeden Fall gehört dazu nach dem Tasten der Pulse die Untersuchung mit der Stimmgabel an der Großzehe und am Knöchel, um festzustellen, ob die Vibration noch regelrecht gespürt werden kann. Bei Verschlechterung würde die/der Betreffende die Schwingungen nicht mehr so lange spüren wie altersgleiche Menschen ohne Neuropathie.

Des Weiteren wird mit dem sogenannten Monofilament die Sensitivität, also das Gefühl, an der Fußsohle getestet. Anschließend findet die Kalt-/Warmuntersuchung statt und zum Abschluss die Prüfung des Achillessehnenreflexe. Daraus kann ein sogenannter Neuropathie Defizit Score errechnet werden, der uns genau sagt, wie ausgeprägt eventuelle Schäden sind und wie häufig das Kontrollintervall vorgeschrieben ist.

Welche Möglichkeiten der Prävention gibt es?

Um Menschen mit Diabetes zu helfen, gibt es für Patienten, die in DMP eingeschrieben sind, auch Schulungskurse in den Diabetes-Schwerpunktpraxen, die sowohl bei der Diabeteseinstellung helfen als auch umfassend über die Füße informieren können. Sollten schon Schäden bestehen, ist es immer sinnvoll, lokale Netzwerke zu nutzen, zum Beispiel www.fussnetz-bayern.de oder www.fussnetz-koeln.de. Auch in Hamburg und Sachsen gibt es bereits entsprechende Einrichtungen. Als weiterer Fortschritt zur Vorbeugung wurden Fußpässe entwickelt, die sowohl Podologen als auch Chirurgen oder Schwerpunkteinrichtungen online bestellen können. Diese gibt es in Rot, Grün und Gelb, sodass Betreffende auch an der Farbe sofort erkennen, ob der Fuß eventuell gefährdet ist und engmaschiger überwacht werden muss. Außerdem haben wir im Fussnetz Bayern für alle Menschen, die mit diabetischen Füßen zu tun haben, einen Behandlungspfad entwickelt, der Menschen mit Wunden früher zur spezialisierten Versorgung bringen soll.

Zudem arbeiten wir in Fußnetz Bayern und bei der DDG daran, mithilfe telemedizinischer Projekte die Früherkennung zu verbessern und es beispielsweise auch Podologen und Pflegediensten zu ermöglichen, Wundbilder an Schwerpunkteinrichtungen zu senden, um eine Expertise zu holen und Patienten schneller einzubinden. Unser aller Ziel ist schließlich die Verringerung der Amputationszahlen. Der Gesundheitsbericht Diabetes 2020 zeigt immer noch alle 13,4 Minuten eine diabetesbedingte Amputation. Der erste Schritt zur Vermeidung ist sicherlich eine Podologische Komplexbehandlung bei allen Patienten mit diabetischer Neuropathie. Damit jeder Patient in den Genuss dieser wichtigen Vorbeugungsmaßnahmen kommt, ist jedoch auch eine bessere Honorierung der podologischen Therapie erforderlich, damit dieser Berufsstand wieder mehr Mitglieder findet und sich die Terminsituation bei den Patienten entspannt.

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Dr. med. Christoph Volkering

Der Orthopäde beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem diabetischen Fußsyndrom und hat eine Gemeinschaftspraxis in München.

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