Mitgefühl, aber kein Mitleid

25.01.2024
Zwei Hände mit Herz, Collage

Geteiltes Leid ist halbes Leid, so lautet ein altes Sprichwort. Und ja, es ist für einen Menschen oft erleichternd, über die eigenen Probleme oder Ängste sprechen zu können – vorzugsweise mit einem „Fremden“, da die Familie häufig nicht belastet werden soll. Wenn keine Psychotherapeutin in Sicht ist, teilen wir unsere Sorgen beispielsweise mit der Gynäkologin, der Friseurin oder – richtig, der Kosmetikerin.

Kundinnen erleichtern gerne mal ihr Herz bei uns. Da gibt es Probleme mit dem Ehemann, Sorgen um die Kinder oder um’s Geld. Besonders Stammkundinnen, die Vertrauen zu uns gefasst haben, äußern sich in der Entspanntheit einer kosmetischen Behandlung leichter über Persönliches als in einem Gespräch. Mit zunehmender Vertrautheit werden dann auch immer häufiger emotionale Belastungen thematisiert. Es ist für uns Kosmetikerinnen selbstverständlich, aktiv zuzuhören und – nach Aufforderung – unsere Ansichten zum angesprochenen Thema darzulegen.

Inhaltsverzeichnis:

  • Was ist emotionale Interaktion?
  • Was bedeutet Empathie, und kann es auch zu viel sein?
  • Was ist der Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid?
  • Wie kann man sich vor zu viel Mitgefühl schützen?
 

Emotionale Interaktion

Wenn es sich um einen Marderschaden am Auto oder die schon wieder defekte Waschmaschine handelt, fällt uns das auch relativ leicht. Das Vertrauen der Kundin in uns wächst. Irgendwann wird sie ihre zerrüttete Ehe ansprechen oder den schlechten Einfluss der Clique auf ihre Kinder. Jetzt heißt es: aufpassen! Denn spätestens hier sind wir an einer Art Weggabelung angekommen – und müssen eine Entscheidung treffen, die großen Einfluss auf unser seelisches Wohlbefinden haben kann. Natürlich können wir in diesem Stadium das Mitteilungsbedürfnis der Kundin nicht mehr „blocken“ – dann wäre das Vertrauensverhältnis zerstört und die Kundin würde wahrscheinlich nicht mehr wiederkommen. 

Wenn wir uns solche Gedanken machen, ist das völlig normal und logisch. Wir wollen in der Kabine emotional mitschwingen – das ist ja (hoffentlich) ein Teil unserer Dienstleistung. Schließlich sind wir alle Menschen – ausgestattet mit der gesamten Bandbreite der Gefühlswelt.

 

Mit-Fühlen, nicht mitleiden!

Und genau darin liegt die Krux! Mitfühlen ist gut, richtig und auch sehr wichtig. Mitleiden dagegen kann unsere eigene seelische Balance womöglich empfindlich stören. Denn in diesem Moment lassen wir genau das zu – wir leiden mit der Kundin mit, wenn wir ihre Sorgen und Ängste zu nahe an uns heranlassen. Ihr Schmerz wird zu unserem eigenen – glaubt mir, dieser Prozess geht zwar langsam, aber unaufhaltsam vonstatten! 

Wir hören oft und gerne den Begriff „Empathie“, der Sensibilität, Einfühlungsvermögen und/oder Wohlwollen beschreibt. Wer von uns möchte diese Eigenschaften nicht gerne für sich in Anspruch nehmen? Empathie ist für uns als Selbstständige (ökonomisch) und auch als Menschen (psychisch) überlebenswichtig, denn unsere Branche arbeitet sehr nah mit und am Menschen.

Hände reichen

Die Dosis macht das Gift

Empathie sollten wir bewusst einsetzen – am Ende dieses Artikels stelle ich dir einige Fragen vor, die dir zeigen sollen, ob du mitfühlst oder schon mitleidest. Wenn wir im Berufsalltag keine sogenannte professionelle Distanz wahren, könnten wir zum Beispiel die Wut oder die Angst der Kundin verinnerlichen – und dadurch psychisch selbst Schaden nehmen. Ein Übermaß an Empathie kann sogar im äußersten Fall zu einem Burnout führen! Im Angestelltenverhältnis ist das schon schlimm genug, aber für uns als Selbstständige kann eine solche Diagnose das berufliche und damit das wirtschaftliche Aus bedeuten. 

Du siehst, wir sollten hier ein gesundes Maß an Vorsicht walten lassen.

 

Die Wissenschaft hat festgestellt

Die Wissenschaft sieht Empathie häufig als zwiespältig an. Einige Wissenschaftler beurteilen sie eher negativ – als ungeordnetes, blindes Mitleid. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit aber (wie so oft) in der Mitte. 

In der Forschung zum Thema Empathie werden zwei Prozesse differenziert:

  • Dass Mitleid, bei dem wir das Leid anderer als unser eigenes übernehmen, uns krank machen kann. 
    Beurteilung: Eher negativ
  • Dass Mitgefühl, das uns anregt, anderen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen, uns erfüllt.
    Beurteilung: Eher positiv

Du wirst mir nun bestimmt zustimmen – Empathie in der Kabine kann eine Wanderung auf einem äußerst schmalen Bergkamm sein. Zu wenig davon, und die Kundin hält uns für kalt oder gar gefühllos – zu viel davon, und wir können durch adaptierten Schmerz im Extremfall sogar handlungsunfähig werden (weil wir uns immer öfter und immer länger mit beispielsweise dem Unfalltod der kleinen Tochter unserer Kundin beschäftigen). 

Tipp

Was wir nun bräuchten, ist Abgrenzung – nur nimmt unsere Fähigkeit dazu mit fortschreitender Abwärtsspirale mehr und mehr ab. Und am Ende kann unser wirtschaftlicher Ruin stehen!

Zugegeben – dieses Szenario ist der absolute „Worst Case“, den ich aber (wenn auch aus anderen Gründen) selbst er- und durchlebt habe. Glaube mir, dass willst du nicht erfahren müssen.
 

Think positive!

Wie können wir uns nun aber schützen? Die gute Nachricht: Mitgefühl kann man trainieren! Grundsätzlich ist unsere eigene Einstellung (ob wir tendenziell positiv oder eher negativ gestimmt sind) wichtig, denn wir sind beim Thema Empathie in unserem Berufsalltag nicht hilflos. Wir selbst treffen die Entscheidung, ob wir mitfühlen (also aktiv emotional mitschwingen) oder mitleiden (also passiv den Fremd-Schmerz in uns eindringen lassen). 

Blaue Hand hält gelbes Herz

Hier findest Du nun ein paar Fragen zum Thema: „Fühle ich noch mit oder leide ich schon?“:

  • Bin ich froh, wenn sich die Kundin freut?
  • Weine ich häufig bei traurigen Filmen?
  • Kostet mich das Behandeln meiner Kundinnen viel Kraft?
  • Nehme ich es mir sehr zu Herzen, wenn andere eine schlechte Meinung von mir haben?
  • Lasse ich mich von negativen Stimmungen meiner Kundin „herunterziehen“?
  • Beschäftigen mich Probleme meiner Kundinnen auch privat?
  • Beschäftigen sich meine Träume mit dem Leid meiner Kundinnen?
  • Wirken sich manche Schilderungen meiner Kundinnen körperlich auf mich aus (zum Beispiel Magenprobleme, Kopfschmerzen, …)?
  • Gehen andere bei mir vor, so dass ich meine eigenen Bedürfnisse (zu) oft zurückstelle?
  • Lässt mich das Leid meiner Kundinnen nicht mehr los, so dass ich andere Dinge dafür vernachlässige?

Falls Du hier oft mit „Ja“ antwortest, könnte das ein „rotes Warnlicht“ sein.
Du solltest dich nun fragen, ob du dich aus eigener Kraft gegen fremdes Leid besser abgrenzen kannst oder ob vielleicht – vorübergehend – die Hilfe einer guten Psychotherapeutin notwendig werden könnte.

Denn machen wir uns nichts vor … es gibt unter unseren Kundinnen nicht nur eine einzige, die uns ihre Sorgen, ihren Zorn oder ihre Angst anvertraut! Umso wichtiger ist eine gute Psychohygiene für uns! In diesem Sinne: Passt gut auf euch auf!

Autorin Claudia Gesang

Claudia Gesang 

Die gelernte Industriekauffrau, Kosmetikerin und Heilpraktikerin für Psycho­therapie arbeitet freiberuflich als Autorin im Kosmetik- und Wellnessbereich. www.claudia-gesang-balance.de

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