Skinimal gepflegt

26.09.2022
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Mehr ist nicht immer mehr. Der Trend Skinimalismus verzichtet auf unnötig viele Pflege- und Make-up-Produkte und setzt stattdessen auf eine reduzierte Hautpflegeroutine mit wenigen hochwertigen Produkten. Das schont die Umwelt und die Haut. Denn gerade zu viele Produkte können der Grund für Hautirritationen sein. Doch wann ist es zu viel des Guten? Und ist weniger wirklich mehr? Hautexpertin Anna Tersteeg erklärt die Vorteile, Grenzen und Möglichkeiten einer minimalistischen Hautpflege.

Das Angebot an Pflegeprodukten ist unbeschreiblich groß. Und die Werbung suggeriert: Nur mit viel Wirkstoff- und einem umfassenden Produkteinsatz gelangt man ans Ziel. Geht eine gepflegte und gesunde Haut automatisch mit einer umfassenden Pflegeroutine einher, deren Produkte sich im Badezimmerschrank stapeln? Oder ist weniger doch manchmal mehr?

Vorteile des Prinzips

Eine reduzierte Pflegeroutine bringt einige Vorteile mit sich: Neben dem Zeit- und Kostenfaktor für die Verbraucher steht vor allem die Gesundheit der Haut im Fokus einer minimalistischen Pflegeroutine. Bei einer Überpflegung steigt das Risiko für Barriereschäden und die Entstehung einer perioralen Dermatitis (POD).

Werden weniger und vor allem gezielt die richtigen Präparate verwendet, sinken das Risiko für unerwünschte Wechselwirkungen zwischen Inhaltsstoffen unterschiedlicher Produkte und auch das Risiko für eine allergische Reaktion.

Dies kommt vor allem sehr empfindlicher und atopischer Haut zugute. Auch der Nachhaltigkeitsgedanke spielt eine Rolle: Weniger Produkte bedeuten weniger Verpackungsmüll. Das wirkt sich positiv auf unseren ökologischen Fußabdruck aus.

(Un)verzichtbar?

Mit dem Blick auf eine minimalistische Pflege- und Treatment-Routine steht die Frage im Raum, auf welche Präparate und Wirkkomponenten verzichtet werden kann und welche Bestandteile für die Erhaltung der Physiologie der Haut unverzichtbar sind. Um die Haut gesund zu erhalten, ist tatsächlich nicht vieles von Relevanz. Als Must-haves der Hautpflegeroutine gelten:

  • die Reinigung (morgens und abends)
  • die Tagespflege mit UV-Schutz
  • die regenerierende Nachtpflege

Damit sind für das Minimalprinzip drei bis vier Präparate notwendig (die Reinigung sollte im Idealfall mit einem Toner abschließen). Dennoch ist anzumerken: Sind die Pflege- und Behandlungsziele ambitionierter und richten sich nicht nur auf die Gesunderhaltung der Haut, sondern zielen vielmehr auf die Optimierung von Hautveränderungen ab, dann gilt das Minimalprinzip meist als unzureichend. Um gezielt Veränderungen voranzutreiben, benötigt es mehr als die Basis. Dies belegen auch Studien.

Allgemein verzichtbar sind alle Inhaltsstoffe, die der Haut nicht guttun. Dazugehören irritierende Duftstoffe, Farbstoffe sowie alkalische Seifen und aggressive Tenside. Natürlich ist die Liste der verzichtbaren Bestandteile abhängig von möglichen Allergien und Unverträglichkeiten der jeweiligen Haut. Beim Minimalprinzip wird darüber hinaus auch auf Wirkstoffe verzichtet, die zwar nicht notwendig sind, aber dennoch als potent gelten.

Schädigungen der Haut

Die klinischen Ausprägungen der perioralen Dermatitis bestehen aus kleinen Entzündungen in Form von Pusteln, Papeln oder schuppigen, trockenen Flecken, die perioral (um den Mund herum) auftreten. Die Hautentzündung ist die Folge einer Intoleranzreaktion und Barriereschädigung der Haut, die vor allem auf den übermäßigen und ständig wechselnden Gebrauch von Feuchtigkeitscremes zurückzuführen ist. Kundinnen, die das Kosmetikinstitut mit Unreinheiten, Entzündlichkeiten oder Hauttrockenheit um den Mund herum aufsuchen, bringen diese Symptome meist nicht mit einer Überpflegung der Haut in Verbindung.

In einem Beratungsgespräch können Sie sie auf die periorale Dermatitis hinweisen. Weitere Schritte zur genauen Diagnostik sind allerdings notwendig. Die periorale Dermatitis kann auch die perinasale (um die Nase) und periokulare (um die Augen) Haut betreffen. Die Pathogenese der perioralen Dermatitis ist noch nicht vollständig erforscht. Es wird davon ausgegangen, dass die topische Anwendung von Steroiden im Gesicht sowie die übermäßige Anwendung von feuchtigkeitsbindenden Stoffen in Kosmetika die Auslöser sind.

HINWEIS!

Der Mythos, dass sehr reichhaltige/lipidhaltige kosmetische Präparate die periorale Dermatitis auslösen, ist falsch. Verantwortlich sind stattdessen die wasserbindenden Inhaltsstoffe und Produkte, denn Wasser führt zu einem Aufquellen der Hornschicht und ist gleichzeitig ein idealer Nährboden für pathogene Bakterien.

Überpflegte Haut stärken

Der Weg in die dermatologische Praxis gilt als empfehlenswert, um Differenzialdiagnosen auszuschließen. Ist die Diagnose „periorale Dermatitis“ gesichert, sollten alle Hautpflegeprodukte und topischen Kortikosteroide (verschlechtern den Barrierezustand) abgesetzt werden.

Man spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten „Nulltherapie“. Die Haut hat nun die Möglichkeit, sich wieder von allein zu regenerieren. Das Gesicht sollte daher nur mit Wasser gewaschen und mit einem Mikrofasertuch abgetrocknet werden. Durch die Entwöhnung der Haut kann es zu einer Erstverschlechterung kommen. Die Haut wird zu Beginn der Nulltherapie meist trockener und empfindlicher. Die Zeit der Nulltherapie ist für die Betroffenen häufig eine große Herausforderung und kann auch psychisch belastend sein. Eine richtige Therapie in Form von Medikamenten ist laut der Leitlinie zur perioralen Dermatitis bislang nicht erforscht.

Im Fokus der systemischen Therapie stehen weniger antiinflammatorische Komponenten, sondern eher antibakterielle Therapeutika. Auch die Wirkungen von topischen Anwendungen in Form von Antibiotika bei einer perioralen Dermatitis konnten nur in einzelnen Studien nachgewiesen werden.

Basis-Treatment im Studio

Auch im kosmetischen Institut sind minimalistische Behandlungsansätze gefragt und können für eine bestimmte Zielgruppe sogar sinnhaft sein. Vor allem bei Personen, die in der Vergangenheit unter einer perioralen Dermatitis gelitten haben und/oder eine verstärkte Neigung zur entzündlichen Dermatose vorweisen, sollte die kosmetische Behandlung auf das Notwendigste reduziert sein.

Es sollten Produkte verwendet werden, die darauf abzielen, den Säureschutzmantel (und somit die Hautbarriere) zu erhalten. Der pH-Wert der Haut beeinflusst die Integrität, die Kohäsion und die Desquamation des Stratum corneum.

  • Reinigung: Reinigungsmittel mit milden Syndets (keine Seifen oder aggressive Tenside)
  • Intensivreinigung: Enzym-Peelings oder milde Fruchtsäure-Peelings können auch bei sensitiver Haut eingesetzt werden.
  • Toner: pH-hautneutral, um den pH-Wert der Haut auszubalancieren
  • Serum: je nach Hautbedarf, jedoch nicht zwangsweise notwendig, um die Hautgesundheit aufrechtzuerhalten
  • Gesichtscreme: Lipidgehalt je nach Hautbedarf
  • UV-Schutz, alternativ: Tagescreme mit LSF
  • optional: Alpha-Hydroxysäuren können den Ceramidgehalt in der Haut fördern, die Barrierefunktion erhöhen und den Transepidermalen Wasserverlust senken und sollten in die Hautpflegeroutine integriert werden.

Quellenauszug:

Byrd, Allyson L., Yasmine Belkaid, and Julia A. Segre. „The human skin microbiome.“ Nature Reviews Microbiology 16.3 (2018): 143–155.

Chambers, Emma S., and Milica Vukmanovic Stejic. „Skin barrier immunity and ageing.“ Immunology 160.2 (2020): 116–125.

Lee, Sae-Rom, et al. „Effect of ectoin a natural ingredient on skin hydration and skin moisture content.“ Asian Journal of Beauty and Cosmetology 16.3 (2018): 437–447.

Lotts, Tobias, et al. „Isatis tinctoria L.-derived Petroleum Ether Extract Mediates Antiinflammatory Effects via Inhibition of Interleukin-6, Interleukin-33 and Mast Cell Degranulation.“ Acta Dermato-Venereologica 100.5 (2020).

Passeron, T. „The skin exposome. An exciting growing field of research.“ Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology 34 (2020): 3–3.

Foto: Autorin
Anna Tersteeg

Die Autorin absolvierte ihr Studium der Kosmetologie an der Universität Osnabrück. Sie ist zudem staatlich geprüfte Kosmetikerin. Bei Medicos Kosmetik leitet die Hautexpertin den Bereich Schulungen und Seminare für die Marke Aesthetico.

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