Möglicherweise wird der Vollzug der NiSV-Fachkundenachweis um ein Jahr ausgesetzt. Was bedeutet das genau – und was muss die Kosmetikerin jetzt beachten? Antworten darauf gibt Dr. Eckhard Rumpf, Präsident der Deutschen Gesellschaft für EU-Konformität (DEGEUK) e. V.
UNSER EXPERTE
Dr. Eckhard RumpfUnser Experte ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für EU-Konformität (DEGEUK) e. V., die Unternehmen im Bereich der apparativen Kosmetik und ästhetischen Medizin bei der rechtssicheren Ausübung ihrer Tätigkeit unterstützt.
BEAUTY FORUM: Herr Dr. Rumpf, was hat es mit der möglichen Änderung zum Erwerb der NiSV-Fachkunde auf sich?
Dr. Eckhard Rumpf: Kurz gesagt: Es geht darum, den Vollzug der Fachkunde, die das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) im Rahmen der „Verordnung zum Schutz vor schädlichen Wirkungen nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSV)“ vorsieht, befristet um ein Jahr bis zum 31.12.2022 auszusetzen.
Unser Verband, die Deutsche Gesellschaft für EU-Konformität e.V., hatte Anfang Januar in einem Brief an die Bundesumweltministerin, Svenja Schulze, die erheblichen Schwierigkeiten beschrieben, die sich für den Markt aus der Fachkunde ergeben, welche die NiSV vorsieht. Insbesondere haben wir dem BMU dargelegt, dass es angesichts der aktuellen Situation nicht möglich sein wird, die Fachkunde innerhalb der gesetzten Termine, nämlich bis zum 31.12.2021, flächendeckend umzusetzen.
Nun hat das BMU auf unser Schreiben geantwortet und uns mitgeteilt, dass es zusammen
mit den Ländern einen Vorschlag erarbeitet hat, der die Aussetzung des Vollzugs der Fachkunde um ein Jahr zum 31.12.2022 vorsieht. Dieser Vorschlag befinde sich aktuell in der weiteren Abstimmung.
Wie ist das zu verstehen?
In rechtlichen Fragen muss man immer den genauen Wortlaut beachten. Deshalb kommt es leider in Internetforen, aber auch von manchen Anbietern, zu ungenauen, verkürzten oder falschen Darstellungen. Um die Situation zu verstehen, muss man etwas ausholen, auch wenn das eine oder andere vielleicht schon bekannt ist.
Die NiSV wurde vom BMU verfasst. Die Verordnung ist zum 31.12.2020 in Kraft getre-ten. Diese neue Verordnung regelt Betreiberpflichten für bestimmte Geräte, die nichtionisierende Strahlung aussenden und zu ge-werblichen Zwecken am Menschen ange-wendet werden. Es handelt sich also um viele solcher Geräte, die typischerweise in Kosme-tikinstituten verwendet werden, zum Bei-spiel Radiofrequenz-, Elektrostimulations-, Laser- oder Pulslichtgeräte, aber auch Ultraschallgeräte.
Eine dieser Betreiberpflichten ist der Nachweis einer sogenannten Fachkunde der Geräteanwender, die über die erfolgreiche Teilnahme an einer geeigneten Schulung nachgewiesen werden kann. Wie diese Schulungen auszusehen haben, wurde vom BMU in einer NiSV-Fachkunderichtlinie festgehalten. Die Fachkunde tritt zum 31.12.2021 in Kraft, also ein Jahr nach der übrigen Verordnung. Es reicht nicht aus, dass beispielsweise nur eine Person im Betrieb die Fachkunde nachgewiesen hat. Jeder, der mit den unter die NiSV fallenden Geräten arbeitet, muss über die Fachkunde verfügen. Ob das auch die Vertriebs- und Schulungsmitarbeiter der Gerätefirmen betrifft, wird derzeit von der DEGEUK geklärt.
Der Vollzug der Verordnung liegt in der Verantwortung der Bundesländer und ist daher nicht einheitlich geregelt. Hier kann es zu Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern kommen.
Unser Verband DEGEUK hat vor einigen Monaten bei den Ländern angefragt, in welcher Form die Fachkunde sicher anerkannt wird. Die überwiegende Aussage war, dass eine Anerkennung nur dann zweifelsfrei erfolgt,
wenn die Fachkunde in einem akkreditierten Verfahren erworben wurde. Das bedeutet wiederum, dass eine Fachkunde, die nicht in einem solchen akkreditierten Verfahren erlangt wurde, unter Umständen eben nicht anerkannt wird.
Das Problem ist nun, dass es bisher noch kein akkreditiertes Verfahren gibt, weil die zuständige Stelle, die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS), noch keine Akkreditierungen vornimmt. Zu diesem Zeitpunkt ist auch noch nicht absehbar, wann eine Akkreditierung möglich sein wird.
Damit stehen nun die Beteiligten, also sowohl die Anwender, die Kosmetikerinnen und Kosmetiker, als auch die Vollzugsbehörden vor dem Dilemma, dass die Vorgaben zum Fachkundeerwerb aller Voraussicht nach innerhalb der Fristen nicht rechtssicher erfüllbar sein werden. Um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, gibt es nun vom BMU den Vorschlag, den Vollzug auszusetzen.
Dann hätte der Markt also ein Jahr länger Zeit, die Fachkunde zu erwerben?
Das wäre die Absicht. Auf den ersten Blick scheint dieser Vorschlag eine gute Lösung zu sein. Dennoch betrachten wir ihn auch mit Sorge.
Denn erstens steht eine endgültige Entscheidung ja noch aus. Zumindest aber kann die Initiative des BMU als sicheres Zeichen gewertet werden, dass irgendetwas in dieser Richtung passieren wird. Von staatlicher Seite ist man sich bewusst, dass es unmöglich ist, die Forderungen durchzusetzen, weil niemand voraussehen konnte, dass uns die Pandemie in diesem Ausmaß trifft.
Zweitens ist die Aussetzung des Vollzugs eines Verbots oder die Duldung einer Ordnungswidrigkeit nicht das Gleiche wie eine Erlaubnis. Hier bleiben viele Fragen offen, sowohl für die Anwender als auch für die Vollzugsbehörden selbst.
Drittens sehen wir die Gefahr, dass die Anwender sich angesichts des Termins für die Fachkunde so unter Druck gesetzt fühlen, dass sie sich in Fachkunde-Kursen einschreiben, deren Anerkennung fragwürdig ist. Es werden zwar derzeit schon Kurse am Markt angeboten, aber angesichts der Aussagen der Vollzugsbehörden kann man leider nicht mit absoluter Sicherheit davon ausgehen, dass sie von den Behörden auch anerkannt werden.
Welche Fristen wären nicht von der möglichen Aussetzung des Vollzugs betroffen?
Nicht betroffen sind alle Betreiberpflichten, die nicht die Fachkunde betreffen. Diese sind auch schon seit Jahresbeginn in Kraft. Dazu gehört insbesondere die Pflicht, den Betrieb jedes Geräts, das unter die NiSV fällt, bei den zuständigen Behörden anzumelden. Es gibt aber noch weitere Pflichten, die in § 3 der NiSV aufgeführt sind. Ich kann daher nur jedem empfehlen, sich diesen Paragrafen genau anzuschauen.
Wann kann mit einem endgültigen Beschluss des BMU gerechnet werden?
Diese Frage lässt sich weder von mir noch vom Ministerium sicher beantworten. Die DEGEUK steht im engen Kontakt mit den Behörden und arbeitet mit großem Nachdruck an Lösungsmöglichkeiten. Der Markt braucht Rechtssicherheit. Es ist ein gravierender Mangel der NiSV, dass der überwiegenden Mehrheit der Anwender, die seit Jahren sicher mit den Geräten arbeiten, kein Weg eröffnet wurde, der den Aufwand zur Erlangung der Fachkunde zumutbar macht. Deshalb kämpfen wir weiter, die NiSV nicht nur für alle Kosmetikerinnen und Kosmetiker, sondern auch den erfahrenen körpernahen Dienstleistern zu vernünftigen Bedingungen zu öffnen.
Das Gespräch führte Christoph Schlittenhardt