Body Modifications Trends: Narben

17.11.2017
Foto: damato / shutterstock

„Narben pflastern den Weg“

Was an Veränderungen am Körper als schön empfunden wird, hat sich im digitalen Zeitalter stark gewandelt. Wir haben mit Europa Bendig eine Insiderin nach den Trends gefragt.

medical BEAUTY FORUM: Wohin geht der Trend bei den Body Modifications?

Europa Bendig: Body Modifications wie zum Beispiel Tattoos oder Piercings waren früher ein Randgruppenphänomen. Heute sind sie im Mainstream und auf den Laufstegen der Welt angekommen. Schon 2010 hat eine Studie von Pewresearch gezeigt, dass Body Modifications bei den Millennials stark an Bedeutung gewonnen haben. Sie sind jedoch kein ausschließliches Jugendphänomen mehr. In einem New Yorker Piercing-Salon sind bereits 60% der Kunden über dreißig. Body Modifications sind massentauglich geworden. Diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen.

Woran machen Sie das fest?

Während Designer früher die Tattoos ihrer Models abdecken oder retuschieren ließen, werden sie heute in Szene gesetzt. Body Modifications sind vom Ausschluss- zum Auswahlkriterium avanciert. In den Schaufenstern des traditionsreichen New Yorker Modehauses Barneys waren zum Beispiel dieses Frühjahr Schaufensterpuppen mit Ganzkörpertätowierung, Schmuckimplantaten, geweiteten Piercings und Skarifizierungen zu sehen. Shayne Oliver, Chefdesigner von Hood by Air, hatte exakte Nachbildungen der Models seiner S/S-2016-Show fertigen lassen.

Wie erklären Sie sich die zunehmende Verbreitung der Body Modifications?

Unser Begriff von Schönheit hat sich gewandelt. Es geht nicht mehr darum, einem gesamtgesellschaftlich akzeptierten Ideal zu entsprechen. Im digitalen Zeitalter ist Aufmerksamkeit die neue Währung. Wir wollen bemerkenswert sein und erinnert werden. Aufmerksamkeit ist nicht mehr garantiert für die, die „perfekt schön“ aussehen. Die heutige Schönheit ist menschengemacht. Und die Body Modification ist der konsequenteste und schmerzvolle Weg zur visuellen Unabhängigkeit. Es ist ein ästhetisches Werkzeug, welches nicht Schönheit, sondern visuelle Einzigartigkeit zum Ziel hat – wie der Internetstar Grace Neutral eindrucksvoll zeigt (am ganzen Körper tätowiert, violettes Augenweiß, spitze Ohren, Gesichts-Scarifications, gespaltene Zunge und keinen Bauchnabel).

Mit was für Effekten ist dies erzielbar?

Im Falle der ästhetisch-orientierten Veränderungen sind Hautentfernung und Verbrennungen die typischen Mittel. Die Menschen finden sich in beidem wieder, der rigiden Kontrolle des Körpers durch den invasiven Eingriff einerseits und der unkontrollierbaren Heilung des Körpers andererseits – die man nur beobachten, abwarten und ertragen kann. Es geht auch um das Erlebnis des individuellen Heilungsprozesses. Und der Endgültigkeit. Anders als bei Tattoos gibt es hier keinen Weg zurück.

Der zweite Effekt ist mehr funktionaler als visueller Natur. Hier werden die Modifications z.B. durch Botox erzeugt, das mittlerweile sogar in die Kopfhaut injiziert wird („Scalp Botox“). Es lähmt die Schweißdrüsen, so dass die Föhnfrisur auch nach dem Fitnessstudio noch perfekt sitzt. Auch sind in diesem Zusammenhang Innovationen aus dem Bereich „Quantified Self“ interessant. Die Hautpflegemarke „LaRoche-Posay“ hat kürzlich einen Hautsensor in Form eines Pflasters herausgebracht. Dieser misst die individuelle UV-Belastung und gibt Handlungsempfehlungen.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Zukunft?

Zunächst einmal muss man Narben aller Art – von Scarifications, Tattoos und Schön­heitsoperationen – noch mehr als einen individuellen Teil des modernen Menschen begreifen. Narben pflastern den Weg zum Selbst-Design. Es ist außerdem zu beobachten, dass die Zielgruppe immer jünger wird. Ein Viertel der Operationen in der plastischen Chirurgie in Deutschland wird mittlerweile an unter 25-Jährigen durchgeführt. In Zukunft wird sich zudem die Anspruchshaltung der Konsumenten an dem neuen Verständnis von Schönheit ausrichten. Vom Schicksal zum Selbstdesign, vom Ideal zum Individuellen, vom Hübschen zum Bemerkenswerten.

Europa Bendig

Sie ist Gründerin der internationalen Agentur Sturm und Drang und erforscht gemeinsam mit ihrem Team die sich verändernde Konsumkultur und berät internationale Unternehmen und Start-ups in ihren Innovationsprozessen. Europa Bendings Branchenschwerpunkt liegt auf Ästhetik, Services, Luxus und Beauty. Hier entschlüsselt sie die aufkommenden ästhetischen Codes und Schönheitsbilder und ergründet die verborgenen Sehnsüchte der Konsumenten. Die Erkenntnisse werden mit Hilfe von Experten und Lead-Konsumenten Panels weltweit in relevante Produkte, Services und Customer Experiences übersetzt. www.sturmunddrang.de

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