Zwischen Wundversorgung und Erster Hilfe

11.01.2019
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Indes: Zur Leistung Erster Hilfe sind Sie im akuten Fall immer verpflichtet, unterlassene Hilfeleistung ist strafbar. Wer allerdings als Laie die Grenze zur heilkundlichen Wundversorgung überschreitet, macht sich unter Umständen ebenfalls strafbar, nämlich des Tatbestandes einer Körperverletzung. Kommt es zu Komplikationen, kann der Patient Ansprüche auf Schadenersatz stellen. Dies kann kostspielig werden. Um sich und Ihre Kunden vor Schaden zu schützen, sollten Sie daher einige Verhaltensregeln beachten.

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht! Sie als Fußspezialist müssen wissen, was Sie dürfen und was nicht. Und: Sie müssen wissen, was sie tun. Dokumentieren Sie genau, ob und mit welchen Wunden Ihr Patient zu Ihnen gekommen ist, und lassen Sie sich dies bestätigen. Frischen Sie Ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse auf. Vergessen Sie auch nicht, sich selbst zu schützen: Verwenden Sie immer Handschuhe, Mundschutz, und frischen Sie Ihren Impfschutz regelmäßig auf. Achten Sie auf eine konsequente Hygiene in der Praxis, ebenso bei mobiler Tätigkeit. Hygienelücken stellen mit das größte Risiko für eine Wundinfektion, selbst bei an sich körperlich gesunden Menschen, vor allem aber bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem.

Ohne sichtbare Anzeichen

Ein gesunder Mensch sucht im Falle einer Verletzung selten den Podologen oder Fußpfleger auf, er geht zum Arzt und lässt sich behandeln. Anders sieht es bei Patienten mit einer systemischen Grunderkrankung aus, die ohne traumatischen Anlass wundursächlich sein kann. Zu solchen Risikopatienten gehören Menschen mit einer Blutgerinnungsstörung („Bluter“), Patienten mit einer Schädigung der Nerven (Neuropathie, Polyneuropathie) und/oder Durchblutungsstörungen (Mikro-/Makroangiopathie). Derartige Risiken kommen besonders bei Diabetikern vor. In ihrem Fall kann auch ohne sichtbare Anzeichen (Blutungen, Risse, Einschmelzungen der Unterhautschichten, Sekretion bis hin zu nekrotischem Gewebe) eine Wundprogression am Fuß bestehen. Daher sind Kenntnisse über die Wundentstehung von Vorteil.

Von der Schwiele zur Wunde

Bei vielen Diabetikern entwickeln sich Wunden (Ulkus) aus dem Zusammenspiel zwischen Neuropathie und Angiopathie: Durch die autonome Nervenschädigung nimmt die Sekretion der Schweiß- und Talgdrüsen ab mit der Folge, dass die Haut trocken, spröde und rissig wird und ihren schützenden Hydrolipidfilm verliert. Mangelnde Hautdurchblutung (Mikroangiopathie) fördert ebenfalls die Hauttrockenheit. Durch motorische Neuropathie entwickelt der Patient Koordinationsstörungen, was zu Fußdeformationen sowie Fehlbelastungen mit andauernder Druckeinwirkung, überschießender Hornhaut (Hypertrophie) und Schwielenbildung (Kallus) führen kann. Die sensorische Neuropathie wiederum reduziert die Reiz- und Schmerzwahrnehmung bis hin zur völligen Empfindungslosigkeit. Bei mechanischer Überbeanspruchung löst sich die kaum elastische Schwiele irgendwann von dem darunter liegenden Gewebe unter Bildung von Rissen und Bläschen ab, wodurch die Ulkusentstehung initiiert wird. Die Mangeldurchblutung der Bein- und Fußgefäße (Makroangiopathie) schließlich beeinträchtigt die Wundheilung, was die Prognose bedeutend verschlechtert.

Spezielle Vorsorge hat Vorrang

Dieser Prozess macht eines deutlich: Erfassen und dokumentieren Sie bei einem Erstbesuch des Patienten unbedingt, ob etwaige Erkrankungen wie Diabetes oder eine Störung der Blutgerinnung vorliegen. Ist dies der Fall, gehört der Kunde in ein speziell für Risikopatienten qualifiziertes Behandlungsmanagement – beginnend beim Hausarzt, Internisten, Angiologen, Hämatologen, Diabetologen mit begleitender podologischer sowie orthopädieschuhtechnischer Versorgung. Auch wenn Sie es gut meinen und Ihnen der Patient vielleicht sogar bekannt ist: Verzichten Sie bei Diabetikern, Blutern oder anderen Risikopatienten auf eine Behandlung, wenn Sie dafür keine entsprechende Qualifikation besitzen. Was Sie allerdings grundsätzlich tun sollten: Sensibilisieren Sie den Patienten für die Notwendigkeit präventiver Maßnahmen. Bei Diabetikern gehört dazu die ärztliche Konsultation mindestens ein Mal pro Jahr zur Fuß- und Schuhinspektion. Risikopatienten mit Durchblutungsschwäche sollten ein Mal alle zwei bis drei Monate einen Spezialisten aufsuchen. Auch bei Nichtdiabetikern: Achten Sie auf das Schuhwerk sowie die Strümpfe. Störende Innennähte bedeuten immer eine Druckstelle, die unterschwellig eine Wunde hervorrufen kann.

Was im Bedarfsfall zu tun ist

Podologen sollten angesichts der skizzierten Pathogenese der Wundentstehung ebenfalls alarmiert sein: Unter jeder Schwiele kann bereits ein Ulkus voranschreiten, typischerweise an Stellen mit erhöhter Druckeinwirkung wie etwa im Bereich der Köpfchen der Mittelfußknochen (Ossa metatarsalia). Beim Entfernen der Schwiele wird die Wunde eröffnet. In diesem Fall muss die Behandlung beendet und der Patient an eine Fußambulanz oder eine klinische Notaufnahme überwiesen werden. Nehmen Sie am besten selbst Kontakt mit der Ambulanz und dem behandelnden Hausarzt des Patienten auf, lassen sie ihn im Zweifelsfall notärztlich abholen und halten Sie hierfür die Patientendokumentation bereit. Wie bereits erwähnt, sind Sie zu Erster Hilfe verpflichtet. Diese sollten Sie auch leisten, indem Sie beispielsweise nach einer Hautdesinfektion das Wundareal mit einer sterilen Wundauflage abdecken und einen Entlastungsverband anlegen. Verbandsmaterial sollten Sie daher immer vorrätig halten.

Risikopatienten am Fuß erkennen

Tatsächlich ist es so, dass nicht jeder Diabetiker weiß, dass er überhaupt Diabetes hat. In Deutschland leben sechs bis sieben Millionen Menschen mit einem bekannten Diabetes. Daneben gibt es nach Schätzungen zwei Millionen Betroffene, deren Krankheit noch gar nicht diagnostiziert wurde. Achten Sie daher bei der Behandlung immer auf Symptome, die auf einen möglichen Diabetes beziehungsweise Folgeerkrankungen wie Angiopathie oder Neuropathie schließen lassen. Hautzustand, Hautgefühl und Temperatur sind hierfür verlässliche klinische Parameter.

Diabetische Neuropathie:

Schädigung der Nerven in den Füßen infolge der Diabeteserkrankung
  • Warme und rosige Füße
  • Trockene und rissige Haut
  • Minderung des Schmerzempfindens (Hypalgesie, sensorische Neuropathie)
  • Taubheitsgefühle an den Füßen
  • Stechen und Schmerzen (vor allem nachts und in Ruhephasen)
  • Kribbeln in den Füßen (Ameisenlaufen)
  • Brennen in den Füßen („Burning Feet“)
  • Reduzierte Sensibilität (Temperatur, Berührung, Druckeinwirkung)
  • Reduzierte Schweißproduktion
  • Reduzierte Lipidsynthese
  • Starke Neigung zu Verhornung der Haut (Hyperkeratose, Schwielenbildung)
  • Geschwächte Fußmuskulatur
  • Fußpulse tastbar

Diabetische Angiopathie:

gestörte Durchblutung in den Füßen infolge der Diabeteserkrankung
  • Kalte, blasse bis bläuliche Füße
  • Verletzungen sind schmerzhaft
  • Sensibilität bleibt bestehen
  • Fußpulse nicht tastbar
Foto: Eduard Gerlach GmbH

Die Wundentstehung bei Diabetikern ist ein komplexes Geschehen, bei dem Störungen der Sensibilität (Neuropathie), eine geschwächte Durchblutung der Haut (Mikroangiopathie), vor allem aber die Mangeldurchblutung der Beingefäße (Makroangiopathie) zusammenwirken

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